Gesetzentwurf des Volksbegehrens "Mehr Demokratie in Bremen"

Artikel 1
Die Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober1947 (SaBremR-a-1), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. März 1998 (Brem.GBl. S. 353), wird wie folgtgeändert:

1. Der Artikel 69 erhält folgende Fassung:

Art. 69 [Volksinitiative]
(1) Eine Volksinitiative befasst die Bürgerschaft imRahmen ihrer Zuständigkeit mit bestimmten Gegenständender politischen Willensbildung. Der Volksinitiative kann auch einEntwurf auf Erlaß, Änderung oder Aufhebung einesGesetzes zugrundeliegen. Sie ist zustandegekommen, wenn sie vonso vielen Stimmberechtigten unterstützt wird, wie 1,5Prozent der bei der letzten Bürgerschaftswahl abgegebenengültigen Stimmen entspricht.
(2) Die Volksinitiative wird durch drei Vertrauensleutevertreten. Erklärungen der Vertrauensleute müsseneinstimmig erfolgen. Die Vertrauensleute und die von ihnenbenannten Personen haben das Recht, während der Beratungenin der Bürgerschaft und ihren Ausschüssen gehörtzu werden.

2. Nach Artikel 69 werden folgende Artikel 69a und 69beingefügt:

Art. 69a [Volksbegehren]
(1) Stimmt die Bürgerschaft der Volksinitiative nichtbinnen vier Monaten nach Einreichung der Unterschriften inunveränderter Form oder in einer Fassung, der dieVertrauensleute der Volksinitiative zugestimmt haben, zu, findetauf Verlangen der Vertrauensleute ein Volksbegehren statt.
(2) Die Eintragungsfrist für das Volksbegehren beträgtsechs Kalendermonate. Es ist zustandegekommen, wenn es von sovielen Stimmberechtigten unterstützt wird, wie fünfProzent der bei der letzten Bürgerschaftswahl abgegebenengültigen Stimmen entspricht. Bei Vorlagen zur Änderungder Verfassung beträgt dieser Satz zehn Prozent.
(3) Die Unterschriften werden in freier Sammlung beigebracht.Daneben werden die Eintragungslisten in Behördenausgelegt.
(4) Das zustandegekommene Volksbegehren ist in derBürgerschaft zu behandeln. Die Vertrauensleute und die vonihnen benannten Personen haben das Recht, während derBeratungen in der Bürgerschaft und ihren Ausschüssengehört zu werden.

Art. 69b [Volksentscheid]
(1) Entspricht die Bürgerschaft nicht binnen vierMonaten nach Einreichung der Unterschriften dem Volksbegehren inunveränderter Form oder in einer Fassung, der dieVertrauensleute der Volksinitiative zugestimmt haben, findetinnerhalb von weiteren drei Monaten ein Volksentscheid statt.
(2) Die Bürgerschaft kann eine eigene Vorlage zumVolksentscheid unterbreiten. Eine Vorlage auf Abänderung derVerfassung muß die Bürgerschaft mit der Mehrheit ihrerMitglieder beschließen.
(3) Über den Haushaltsplan (Art. 131 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1)im ganzen findet kein Volksentscheid statt.

3. Die Artikel 70 bis 74 erhalten folgende Fassung:

Art. 70 [Referendum]
(1) Die Bürgerschaft kann mit der Mehrheit ihrerMitglieder eine Verfassungsänderung dem Volksentscheidunterbreiten.
(2) Die Bürgerschaft kann eine andere zu ihrerZuständigkeit gehörende Frage dem Volksentscheidunterbreiten.

Art. 71 [Parlamentsauflösung]
Ein Volksentscheid über die vorzeitige Beendigung derWahlperiode findet statt, wenn ein entsprechendes Volksbegehrenvon so vielen Stimmberechtigten unterstützt wird, wie zehnProzent der bei der letzten Bürgerschaftswahl abgegebenengültigen Stimmen entspricht. Art. 69a Abs. 2 Satz 1 und Art.69a Abs. 3 gelten entsprechend.

Art. 72 [Allgemeine Bestimmungen]
(1) Beim Volksentscheid ist stimmberechtigt, wer zurBürgerschaft wahlberechtigt ist. Die Abstimmung istallgemein, gleich, unmittelbar, frei und geheim; sie kann nurbejahend oder verneinend lauten. Der Abstimmungstag muß einSonntag oder allgemeiner öffentlicher Ruhetag sein.
(2) Volksentscheide werden, soweit es den Fristen entspricht,mit anderen Volksentscheiden und Wahlen zusammengelegt. AufAntrag der Vertrauensleute kann zu diesem Zweck die Fristzwischen der Behandlung eines Volksbegehrens in derBürgerschaft und dem Volksentscheid verlängertwerden.

Art. 73 [Mehrheitsvoraussetzungen, Informationspflicht,Kostenerstattung]
(1) Beim Volksentscheid entscheidet die Mehrheit derabgegebenen gültigen Stimmen.
(2) Stehen mehrere Vorlagen zur Abstimmung, können dieStimmberechtigten jede einzelne Vorlage annehmen oder ablehnen.Für den Fall, daß mehrere sich widersprechendeVorlagen zum gleichen Gegenstand angenommen werden, könnendie Abstimmenden darüber befinden, welche sie vorziehen.
(3) Jeder Haushalt erhält vor einem Volksentscheid einInformationsheft, das die mit Begründungen versehenenAbstimmungsvorlagen enthält. Bei Volksentscheiden aufgrundvon Volksbegehren enthält das Heft jeweils im gleichenUmfang die Auffassungen der Vertrauensleute der Volksinitiativeund der Bürgerschaft.
(4) Die Vertrauensleute der Volksinitiative haben, wenn dasVolksbegehren zustandegekommen ist, Anspruch auf Erstattung dernotwendigen Kosten einer angemessenen Werbung für denVolksentscheid.

Art. 74 [Verkündung, Verfahren]
(1) Der Senat hat die durch Volksentscheid beschlossenenGesetze innerhalb von zwei Wochen nach Feststellung desAbstimmungsergebnisses auszufertigen und im BremischenGesetzesblatt zu verkünden.
(2) Das Verfahren beim Volksentscheid regelt ein besonderesGesetz.“

4. Artikel 76 wird wie folgt geändert:
a) Absatz 1 Buchstabe b erhält folgende Fassung: ?b)durch Volksentscheid gemäß Art. 71.“
b) Absatz 2 wird aufgehoben.
c) Der bisherige Absatz 3 wird zu Absatz 2.

5. Artikel 87 Abs. 1 erhält folgende Fassung:
"Anträge auf Beratung und Beschlußfassungüber einen Gegenstand können, sofern sie nicht vomSenat ausgehen, nur aus der Mitte der Bürgerschaft oderdurch Volksinitiative, Volksbegehren und durch Bürgerantraggestellt werden."

6. Artikel 123 , Abs. 1 erhält folgende Fassung:
"Gesetzesvorlagen werden durch Volksinitiative,Volksbegehren, Bürgerantrag, vom Senat oder aus der Mitteder Bürgerschaft eingebracht."

Artikel 2
Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündungin Kraft.

Begründung

Ziel dieses Gesetzentwurfes ist, die unmittelbare Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger als Souverän des Staates an der Gesetzgebung und Regierung in der Freien Hansestadt Bremen - gemäß Art. 66 Abs. 2 lit. a - zu ermöglichen. Die Organe der repräsentativen Demokratie sollen um funktionsfähige direktdemokratische Instrumente ergänzt werden.

 

Die bisherige Regelung für Volksbegehren und Volksentscheide in Bremen hat sich als untauglich erwiesen. Seit 1947 hat es noch kein erfolgreiches Volksbegehren gegeben. Das derzeitige Verfahren sieht zum Teil deutlich höhere Hürden vor als Gemeinwesen mit einer funktionierenden irektdemokratie, wie Bayern, die Schweiz oder die Bundesstaaten der USA. So wären z.B. bisher alle bayerischen Volksentscheide an der Bremer Regelung gescheitert. Auch die neueren Landesverfassungen Brandenburgs und Schleswig-Holsteins sehen anwendungsfreundlichere Verfahren für Volksbegehren vor.

 

Die Regelungen, die dieser Gesetzentwurf vorschlägt, orientieren sich an den Erfahrungen mit der direkten Demokratie im In- und Ausland.

 

Die Kernpunkte des Gesetzentwurfes sind:

  • Einführung der Volksinitiative als Vorstufe zu Volksbegehren und Volksentscheid.
  • Zulassung aller in die Zuständigkeit der Bürgerschaft fallenden Themen. Vom Volksentscheid ausgenommen wird lediglich der Haushaltsplan im ganzen. Ausdrücklich zugelassen sind Anliegen, die sich auf den Haushalt auswirken.
  • Institutionalisierung von Kompromißmöglichkeiten.
  • Erleichterung von Volksbegehren.
  • Sicherung hinreichender Information der Bürgerinnen und Bürgern vor einem Volksentscheid.
  • Streichung von Abstimmungsklauseln (Zustimmungsquoren) beim Volksentscheid. Wie bei Wahlen soll auch beim Volksentscheid die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen entscheiden.
  • Angemessene Erstattung der Werbekosten zum Volksentscheid für die Vertreterinnen und Vertreter einer Volksinitiative.
  • Zusammenlegung von Volksentscheiden und Wahlen.
  • Die Bestimmungen dieses Gesetzentwurfes sind im Rahmen von Art. 148 Abs. 1 Satz 2 auf die Stadtgemeinde Bremen anzuwenden.