Bundesweite Bürgerräte werden offiziell - Mehr Demokratie spielt dabei eine entscheidende Rolle

Wir erleben gerade, wie sich das demokratische System in Deutschland verändert und neu aufstellt. Grund zum Feiern und stolz sein! Der Bundestag schafft die Voraussetzungen für die Durchführung bundesweiter Bürgerräte. Was sich im ersten Moment etwas sperrig liest, ist nicht weniger als das Entstehen eines neuen „offiziellen“ Demokratieinstruments auf Bundesebene.

Ein Bericht von Anne Dänner und Roman Huber

Ein Demokratie-Edelstein im schlichten Gewand

Die bis zu drei aktuell geplanten Bürgerräte finden im Auftrag des Bundestags statt und werden per Beschluss des Bundestags im Plenum eingesetzt. Der Auftrag VOM Bundestag geht mit einem Auftrag AN den Bundestag einher. Denn die Empfehlungen haben zwar keine „Bindungswirkung“. Aber der Bundestag wird sich offiziell mit den Vorschlägen befassen. Das ist ein Demokratie-Edelstein im schlichten Gewand. Es macht einen großen Unterschied, ob ein Bürgerrat nur wohlwollend begleitet und wahrgenommen wird oder ob die Ergebnisse dann auch eine Bundestags-Drucksache werden und in Ausschuss-Sitzungen beraten.

Bundestag schreibt Bürgerräte aus

Die Evolution kommt leise

Interessant ist: Die Transformation findet Schritt für Schritt und ohne großes Getöse, Skandale, Brüche, Schlagzeilen statt – keine krachende Revolution mit Siegern und Verlierern, sondern eher ein langsamer Evolutionsprozess. Andererseits geht es sogar ziemlich schnell. Seit unserem ersten selbstorganisierten bundesweiten Bürgerrat sind nicht einmal vier Jahre vergangen. Der damaligen Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat die Schirmherrschaft über die ersten beiden Bürgerräte übernommen. Seine Nachfolgerin Bärbel Bas hat das Thema wie selbstverständlich auch auf ihre Agenda genommen. Unzählige Gespräche, Begegnungen und die Teilnahme von Abgeordneten an einem der bisherigen Bürgerräte haben stattgefunden. Weltweit und auch in den deutschen Gemeinden und Bundesländern ist eine regelrechte Bürgerrats-Welle zu beobachten.

Welche Rolle spielt Mehr Demokratie?

Mehr Demokratie ist für die Kraft und Wahrnehmbarkeit dieser Welle mit verantwortlich. Wir haben die ersten beiden Bürgerräte zusammen mit Partnern angestoßen und organisiert und den dritten (Bürgerrat Klima) beraten und begleitet. Wir machen intensive Öffentlichkeitsarbeit zum Thema, mit eigener Webseite und Social Media-Kanälen, und versorgen eine dreistellige Zahl von interessierten Medienschaffenden mit Infos. Wir sind im Austausch mit professionellen Durchführungsinstituten, wissenschaftlichen Stellen und anderen Akteuren im Beteiligungsbereich, beraten Initiativen aus dem gesamten Bundesgebiet und teilweise auch international.

Warum das Ganze? Wir wollen qualitativ hochwertige Bürgerräte auf der Bundesebene etablieren, weil wir sie für ein wichtiges Demokratieinstrument halten. Wir wollen, dass Bürgerräte mittelfristig institutionalisiert werden, dass sie also nicht nur „ad hoc“ stattfinden, sondern auch gesetzlich verankerter Teil des demokratischen Systems in Deutschland sind. Wir wollen, dass die repräsentative Demokratie ergänzt und gestärkt wird. Jetzt um bundesweite Bürgerräte, perspektivisch auch um bundesweite Volksabstimmungen.

Wir haben uns beworben…

Aus unseren Zielen und aus den Erfahrungen und Kontakten erwächst eine Verantwortung: Wie können wir am besten dafür sorgen, dass das Instrument wirklich gut und stark wird? Es gibt mehrere Wege das zu erreichen. Einer davon ist, die Etablierung von außen kommentierend und einordnend zu begleiten. Ein anderer ist, in die intensive Zusammenarbeit mit dem Bundestag zu gehen und unser bisher gesammeltes Wissen dort zur Verfügung zu stellen.

Mehr Demokratie hat sich nach intensivem Abwägen entschieden: Wir wollen den zweiten Weg ausprobieren. Nicht auf Dauer, sondern für die Phase der Etablierung. Auch, wenn das ganz neu ist für uns als Verein und neben vielen Chancen auch Herausforderungen mit sich bringt. Wir haben uns deshalb in einer Bietergemeinschaft (mit den Beteiligungsinstituten IFOK, nexus und IPG, sowie der Sortition Foundation als Unterauftragnehmer) für die Durchführung der ersten drei offiziellen bundesweiten Bürgerräte beworben. Mit unseren Partnern, mit denen wir bereits bei den ersten Bürgerräten gute Erfahrungen gesammelt haben, bieten wir ein Gesamtpaket an.


So lief das Bewerbungsverfahren

Ausschreibung durch den Bundestag im Januar 2023 mit detaillierten Anforderungen für die Bieter.

Zu den Vergabeunterlagen gehört z.B. eine 40 Seiten umfassende Leistungsbeschreibung und ein „Preisblatt“, in dem genau anzugeben ist, was die Bietergemeinschaft für jeden einzelnen Posten kalkuliert.

Es gibt die Möglichkeit, „Bieterfragen“ zu stellen. Das heißt, alle, die sich bewerben wollen, haben im Zeitraum von ein paar Wochen, die Möglichkeit, bei Auftraggeber Rückfragen zu stellen. Die Antworten auf diese Rückfragen werden allen anderen Bietern auch zur Verfügung gestellt.

Die meisten Aufgaben können wir mit der Bietergemeinschaft selbst abdecken, einiges wie z.B. Übersetzungen in „Leichte Sprache“ müssen von uns an externe Anbieter vergeben werden.

Unser Angebot haben wir in einer 20-seitigen Konzeptskizze ausführlich beschrieben und mit einer detaillierten Kalkulations-Tabelle ergänzt. Alle anderen Bieter haben das auch gemacht. So kann sich der Bundestag ein Bild davon machen, wie viel die Durchführung mit einem bestimmten Anbieter kosten würde und was dieser Anbieter im Detail zur Verfügung stellen kann.

Es gibt genaue Bewertungskriterien für solche Ausschreibungen. Dabei kommt es neben dem Preisauch auf eine ganze Reihe weiterer Qualitäts-Faktoren an. Welcher Aspekt wie hoch gewichtet wird, ist im Voraus genau festgelegt.
 

…und wir haben es geschafft!

Gut vier Wochen haben wir an der Bewerbung gearbeitet. Seit dem 20. März steht fest: Wir haben den Zuschlag! Das bedeutet: Wir können Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge direkt einbringen. Mehr Demokratie wird die gemeinsame Durchführung organisieren. Wir sind zuständig für die Anbindung an den Bundestag und für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Zusammenarbeit mit dem Bundestag. Zugleich wollen wir mit unseren Partnern dafür sorgen, dass noch mehr Menschen, die sich sonst politisch nicht so stark einbringen (z.B. mit niedrigen Bildungsabschlüssen) erreicht werden. Wissen soll möglichst anschaulich und allgemeinverständlich vermittelt werden. Es sollen noch mehr Politikerinnen und Politiker und eine breitere Öffentlichkeit an den Erfahrungen eines Bürgerrats teilhaben.

Wow! Das ist Neuland. Das ist ein Wagnis. Aber wer nichts wagt, kann auch nichts gewinnen.