Bürgerbegehren: Bericht zeigt Reformbedarf in Niedersachsen

[4/23] Fachverband Mehr Demokratie legt Bürgerbegehrensbericht 2023 vor. Zahlenwerk belegt: Niedersachsen in Sachen direkter Demokratie weit unter Bundesdurchschnitt. Schumacher: „Schlechte Regeln, schlechte Praxis. Reformbedarf!“

Heute legte der Fachverband Mehr Demokratie seinen Bürgerbegehrensbericht 2023 vor, in dem er die direkt-demokratische Praxis auf kommunaler Ebene in den 16 Bundesländern vergleicht. Niedersachsen schneidet dabei schlecht ab: „Hier finden deutlich weniger Bürgerbegehren und Bürgerentscheide als im Bundesdurchschnitt statt. Hier werden viel mehr Bürgerbegehren als unzulässig eingestuft. Hier scheitern mehr Bürgerentscheide ‚unecht‘, obwohl eine Mehrheit mit Ja stimmt“, sagt Dirk Schumacher, niedersächsischer Landessprecher von Mehr Demokratie.

Für Schumacher ist klar: „All das ist das Ergebnis schlechter Regeln. Es besteht dringender Reformbedarf. Spätestens jetzt sollte es die Landesregierung verstehen.“ Niedersachsen gesetzliche Regeln für kommunale Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind wenig bürgerfreundlich: Im einschlägigen Ranking von Mehr Demokratie belegte unser Bundesland vor zwei Jahren Platz 13 unter den 16 Bundesländern. „Nun zeigt der Bürgerbegehrensbericht: Das spiegelt sich auch in der Praxis wider“, so Schumacher.

Reformen wirken – im Guten, wie im Schlechten. „Als das Land 2016 die Hürden ein Stück weit senkte, kam es sofort zu einem zu einem kleinen Bürgerbegehrens-Boom“, sagt Schumacher. „Daran sollte Rot-Grün anknüpfen.“

Der heute vorgelegte Bericht kritisiert die 2021 von der rot-schwarzen Vorgänger-Regierung angestoßene Reform, bei der Katalog der Tabu-Themen vergrößert wurde. So dürfen Bürgerbegehren nicht mehr zu geplanten Klinik-Schließungen stattfinden. „Niedersachsen: Reformen reduzieren Bürgerfreundlichkeit“, ist das Unterkapitel des Berichts (Seite 13) überschrieben.

Der Bürgerbegehrensbericht wartet auch mit erfreulichen Zahlen auf: Bundesweit sind zwei von fünf gestarteten Bürgerbegehren erfolgreich. Sei es, weil der Gemeinderat einen neuen Beschluss fasst oder einem Kompromiss zustimmt, sei es, dass ein Bürgerentscheid erfolgreich ist. Das rechnet der Bericht vor (Seite 23). Schumacher: „Die direkte Demokratie wirkt in Deutschlands Städten und Gemeinden. Sie dient als Korrektiv der repräsentativen Demokratie. Leider hinkt Niedersachsen hinterher.“

Niedersachsens Negativ-Bilanz im Detail:

Unterdurchschnittlich viele Bürgerbegehren und Bürgerentscheide
Niedersachsen hat einen Anteil von 9,6 Prozent an der Gesamtbevölkerung Deutschlands. Hier finden aber nur 6 Prozent aller Bürgerbegehren statt und 4,5 Prozent aller aus der Bevölkerung angestoßenen Bürgerentscheide. Bis Ende 2022 wurden in Niedersachsen 449 Bürgerbegehren gestartet. Sie mündeten in 136 Bürgerentscheiden. Zudem gab es 4 Ratsentscheide, die von Gemeindeparlamenten ausgingen.


Viele Bürgerbegehren unzulässig
38,8 Prozent aller Bürgerbegehren wurden in Niedersachsen für unzulässig erklärt. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 28,5 Prozent. Als Faustformel gilt: Je bürgerunfreundlicher die Verfahren, desto höher die Unzulässigkeitsquote. In Niedersachsen ist der sogenannte Negativkatalog besonders dick. Viele Themen sind der direkten Demokratie nicht zugänglich, darunter die auf kommunaler Ebene besonders bedeutsame Bauleitplanung. Die Quote ist seit den Reformen von 2016 gesunken: Vorher lag sie bei 44 Prozent. Seit 2016 müssen die Macherinnen und Macher eines Bürgerbegehrens keinen Kostendeckungsvorschlag mehr erstellen. Und Sie können sich bei der Erarbeitung des Bürgerbegehrens von der Gemeinde beraten lassen.


Bürgerbegehren münden selten in einen Bürgerentscheid
Nur 30,3 Prozent aller Bürgerbegehren endeten in Niedersachsen mit einem Bürgerentscheid. Im Bundesdurchschnitt sind es 40,2 Prozent, in Bayern gar 52,8 Prozent. Das ist insbesondere auf die hohe Zahl der unzulässigen Bürgerbegehren in Niedersachsen zurückzuführen.

Bürgerentscheide scheitern häufig „unecht“
30 Prozent aller Bürgerentscheide scheitern in Niedersachsen „unecht“. Das heißt: Zwar stimmt eine Mehrheit mit Ja, aber diese Mehrheit entspricht nicht mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten. Deswegen wird das sogenannte Zustimmungsquorum verfehlt. Nur in NRW und Berlin ist die Quote noch schlechter. Im Bundesdurchschnitt ist dies bei 12 Prozent aller Bürgerentscheide so. Nimmt man Bayern aus der Rechnung, sind es 17,7 Prozent. Die Zustimmungsquoren variieren je nach Bundesland.
 

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