Hintergründe zu unseren Fragen

Wir haben den Direktkandidatinnen und -kandidaten in den niedersächsischen Landtagswahlkreisen insgesamt acht Fragen zu Reformen der direkten Demokratie auf Kommunal-, Landes und Bundesebene gestellt. Hier finden sie unsere Fragen mit Erläuterungen und unseren Forderungen im jeweiligen Bereich.

Frage 1: Befürworten sie eine deutliche Senkung des Unterschriftenquorums für Bürgerbegehren?
Hintergrund: Um auf der kommunalen Ebene ein Bürgerbegehren zu starten, müssen die Initiativen Unterschriften in der Bevölkerung sammeln. In den niedersächsischen Kommunen müssen 10% der Stimmberechtigten unterschreiben, damit ein Bürgerbegehren zustande kommt und ein Bürgerentscheid möglich wird. Die 10%-Regel gilt für alle Gemeinden, unabhängig von ihrer Größe.
Position Mehr Demokratie e.V.: Die Unterschriftensammlung beim Bürgerbegehren gewährleistet, dass nur Anliegen behandelt werden, an denen ein gewisser Teil der Stimmberechtigten Interesse hat. Allerdings ist das Unterschriftenquorum für ein Bürgerbegehren nach unserer Erfahrung mit 10 Prozent zu hoch, da sich besonders mit zunehmender Gemeindegröße das Sammeln von Unterschriften immer schwieriger gestaltet.
Wir fordern daher, das Unterschriftenquorum für Bürgerbegehren nach Gemeindegröße zu staffeln (3-10%). In Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen gilt ein mit steigender Einwohnerzahl in mehreren Stufen von 10 auf 3 Prozent sinkendes Unterschriftenquorum.

Frage 2: Sind sie für die Abschaffung oder deutliche Senkung des Zustimmungsquorums für Bürgerentscheide?
Hintergrund: Ähnlich wie bei Volksentscheiden auf Landesebene gilt bei Bürgerentscheiden auf Kommunalebene ein Zustimmungsquorum von 25 Prozent. Erst wenn die Mehrheit der Abstimmenden im Bürgerentscheid einem Bürgerbegehren zugestimmt hat und diese Mehrheit gleichzeitig 25 Prozent der Stimmberechtigten entspricht, ist ein Bürgerentscheid gültig.
Position Mehr Demokratie e.V.: Ein Zustimmungsquorum von 25% ist viel zu hoch angesetzt. Mit einem so hohen Quorum wird direkte Demokratie auf kommunaler Eben eher verhindert als gefördert. Zustimmungsquoren laden zu Boykottstrategien und Diskussionsverweigerung bei.
Wir fordern, das Zustimmungsquorum vollständig abzuschaffen – damit könnte die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden, wie es bei Wahlen der Fall ist. Beide Seiten sind dann gezwungen, ihre Unterstützer zu mobilisieren. Zumindest muss das Quorum deutlich gesenkt werden - für den Fall einer Senkung halten wir eine Staffelung nach Einwohnerzahl der jeweiligen Gemeinde für sinnvoll. Je größer die Gemeinde, desto niedriger das Zustimmungsquorum. Beispiele dafür gibt es in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Thüringen.

Frage 3: Sind sie dafür, dass die Bauleitplanung und Planfeststellungsverfahren Gegenstand von Bürgerbegehren und -entscheiden sein dürfen?
Hintergrund: Derzeit sind die Themenbereiche, zu denen in Niedersachsen auf der kommunalen Ebene Bürgerbegehren und -entscheide stattfinden dürfen, stark eingeschränkt. Ein Bereich, der die Bürger direkt betrifft, über den sie aber nicht abstimmen dürfen, ist der Bereich der der Bauleitplanung sowie Planfeststellungsverfahren, also die Planungen rund um kommunale Bauvorhaben.
Position Mehr Demokratie e.V.: Bürgerbegehren, die Bauleitplanung und Planfeststellungsverfahren betreffen, sollten zukünftig auch in Niedersachsen zulässig sein. Diese Verfahren betreffen Fragen, die großes Interesse bei den Bürgern hervorrufen, da sie in hohem Maße von solchen Entscheidungen betroffen sind.
Wir fordern daher, Bauleitplanungs- und Planfeststellungsverfahren aus dem Negativkatalog für zulässige Themen bei Bürgerbegehren und -entscheiden zu streichen. In Bayern funktioniert das seit 1995 problemlos.

Frage 4: Sind sie dafür, dass Bürgerbegehren aufschiebende Wirkung haben, d.h., dass Rat und Verwaltung keine Entscheidungen treffen dürfen, die dem Bürgerbegehren entgegen stehen, solange das Bürgerbegehren nicht abgeschlossen ist?
Hintergrund: Bisher sieht die Gesetzgebung in Niedersachsen eine aufschiebende Wirkung für Bürgerbegehren nicht vor. Das kann bedeuten, dass ein Gemeinderat/ Stadtrat während eines laufenden Bürgerbegehrens Beschlüsse zum Thema des Begehrens fasst, die unwiderrufliche Tatsachen schaffen und das Begehren ins Leere laufen lassen. Dies ist in der Vergangenheit mehrfach geschehen (Beispiele).
Position Mehr Demokratie e.V.: Wenn während eines laufenden Bürgerbegehrens Entscheidungen getroffen werden dürfen, die dem Anliegen des Begehrens entgegenstehen, ist das nicht nur den den Bürgern gegenüber unfair, sondert fördert auch Politikverdrossenheit. In Zeiten sinkender Wahlbeteiligung und fehlenden bürgerschaftlichen Engagements wird durch das Fehlen einer aufschiebenden Wirkung von Bürgerbegehren dieses direktdemokratische Instrument und damit der Einsatz der Bürgerinnen und Bürger für ihre Gemeinde entwertet. Die bestehende Regelung in Niedersachsen bewirkt in vielen Fällen, dass Bürgerbegehren gar nicht erst starten, weil sie befürchten müssen, dass die Gemeinde schon früh Tatsachen schafft. Die Erfahrungen in anderen Bundesländern zeigen, dass das Vorhandensein einer aufschiebenden Wirkung von Bürgerbegehren sich nicht negativ auf kommunalpolitische Entscheidungen auswirkt.
Vorbildlich ist die von Mehr Demokratie entworfene Regelung in Hamburg, wo bereits ab Abgabe eines Drittels der Unterschriften die aufschiebende Wirkung für drei Monate einsetzt. Eine zweite Variante gibt es in Schleswig-Holstein, Sachsen und Bayern. In diesen Bundesländern darf der Gemeinderat nach Feststellung der Zulässigkeit bis zur Durchführung des Bürgerentscheids keine Entscheidungen treffen, die dem Bürgerbegehren entgegenstehen.
Wir fordern eine aufschiebende Wirkung von Bürgerbegehren. Damit wird das Schaffen von Tatsachen verhindert und dem Engagement der Bürgerinnen und Bürgern angemessen Rechnung getragen.

Frage 5: Sind sie für die Wiedereinführung von Stichwahlen bei Bürgermeister- und Landratswahlen?
Hintergrund: Der Landtag hat im November 2010 mit den Stimmen von CDU und FDP die Stichwahlen bei Bürgermeistern und Landräten abgeschafft. Gewählt soll sein, wer im ersten – und einzigen – Wahlgang die meisten Stimmen gewinnt. So kann ein Kandidat auch schon mit 20 bis 30 Prozent Bürgermeister werden – für acht Jahre.
Position Mehr Demokratie e.V.: Wir finden, dass ein Bürgermeister- oder Landratsamt mehrheitliche Zustimmung und Anerkennung unter den Wählenden braucht. Die Stichwahl bietet den Wählerinnen und Wählern bessere Partizipationschancen als eine Wahl mit nur einem Wahlgang: gibt es nur einen Wahlgang, bei dem die einfache Mehrheit entscheidet, gehen die Stimmen derjenigen Wähler, die den/die Dritt- oder Viertplazierten gewählt haben, verloren. Gibt es aber eine Stichwahl, können die Wähler ihre Präferenzen besser zum Ausdruck bringen als mit nur einem Wahlgang. Ein einziger Wahlgang provoziert ein strategisches Wahlverhalten, d.h., dass die Wähler die Kandidaten/-innen wählen, die ihrer Einschätzung nach die besseren Chancen haben, nicht die, die sie am liebsten im Amt sehen wollen – damit ihre Stimme nicht „verloren“ geht. Mit einer Stichwahl haben die Wählerinnen und Wähler die Sicherheit, dass, sollte ihr präferierter Kandidat zu wenige Stimmen erhalten, sie zumindest nochmal zwischen den beiden Bestplazierten entscheiden und so z.B. eine bestimmte Kandidaten verhindern können.
Wir fordern daher eine Wiedereinführung der Stichwahlen bei Bürgermeister- und Landratswahlen oder aber die Einführung demokratischer Alternativen (z.B. die integrierte Stichwahl).
Detaillierte Informationen zum Thema Stichwahl finden sie hier.

Frage 6: Sind Sie dafür, die Quoren bei Volksbegehren und Volksentscheiden zu senken?
Hintergrund: Die Volksgesetzgebung in Niedersachsen hat zwei Stufen: Das Volksbegehren und den Volksentscheid. Ein erfolgreiches Volksbegehren ist Voraussetzung für einen Volksentscheid. Derzeit müssen 10 Prozent der Stimmberechtigten für ein Volksbegehren unterschreiben, damit es zu einem Volksentscheid kommen kann. Ist ein Volksbegehren erfolgreich, kann ein Volksentscheid stattfinden. Hier können alle Bürgerinnen und Bürger über eine bestimmte Frage abstimmen. Allerdings ist in Niedersachsen derzeit ein Volksentscheid nur dann gültig, wenn mindestens 50 Prozent (bei Verfassungsänderungen) bzw. 25 Prozent (bei einfachen Gesetzen) der Abstimmenden dem Vorschlag des Volksbegehrens zustimmen. Bisher hat es in Niedersachsen noch keinen einzigen Volksentscheid auf Landesebene gegeben.
Position Mehr Demokratie e.V.: Das derzeitige Unterschriftenquorum ist nicht nur im Vergleich zu anderen Bundesländern (z.B. Schleswig-Holstein, Hamburg, Brandenburg) sehr hoch angesetzt, es verhindert de facto die Nutzung der direktdemokratischen Instrumente durch die Bürgerinnen und Bürger, weil der Aufwand für die Initiativen eines Volksbegehrens einfach zu hoch ist. Volksbegehren können aber als Seismograph für gesellschaftliche Probleme nur dann funktionieren, wenn sie Mißstände rechtzeitig anzeigen.
Ein Zustimmungsquorum von 50 Prozent für Verfassungsänderungen bedeutet, dass jeder zweite Bürger am Volksentscheid teilnehmen und mit ja stimmen muss. Das ist nahezu unerreichbar und aus unserer Sicht auch unfair. In anderen Ländern mit direktdemokratischen Verfahren wie den USA oder der Schweiz gibt es solche Quoren nicht. Dort entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Dieses Prinzip, was in Deutschland bei Wahlen ebenfalls gilt, halten wir für fair, da alle Bürgerinnen und Bürger an der Abstimmung teilnehmen können, wenn sie wollen. Wer zu Hause bleibt, wird nicht mitgezählt.
Gleiches gilt unserer Meinung nach für das Quorum von 25 Prozent bei einfachen Gesetzen. Zum Vergleich: In Bayern und Sachsen gilt bei einfachen Gesetzen das Mehrheitsprinzip. In NRW gibt es ein Zustimmungsquorum von 15 Prozent der Stimmberechtigen, in Hamburg und Bremen von 20 Prozent. Bei verfassungsändernen Volksentscheiden gilt in Bayern ein 25-Prozent-Quorum.
Wir fordern, das Unterschriftenquorum beim Volksbegehren von zehn Prozent der Stimmberechtigten auf fünf Prozent zu senken. Ein 5-Prozent-Quorum gilt zur Zeit in Bremen und Hamburg. Wir fordern, das Zustimmungsquorum von 25 beziehungsweise 50 Prozent zu streichen oder zumindest deutlich zu senken.

Frage 7: Sind Sie dafür, dass in Niedersachsen Volksbegehren mit finanziellen Auswirkungen zulässig sind?
Hintergrund: Die Landesverfassung sieht im Moment vor, dass Gesetze über den Landeshaushalt, über öffentliche Abgaben sowie über Dienst- und Versorgungsbezüge nicht Gegenstand eines Volksbegehrens sein können.
Position Mehr Demokratie e.V.: Dieser Vorbehalt schränkt die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, denn viele Gesetze haben finanzielle Auswirkungen. So wie in der Schweiz und vielen US-Bundesstaaten sollten die Bürgerinnen und Bürger auch über Fragen der öffentlichen Finanzen wie Steuer, Abgaben und Verwendung von Staatsausgaben abstimmen können. Allenfalls sollte das Haushaltsgesetz von der Volksgesetzgebung ausgenommen werden. In der Schweiz wird regelmäßig über Fragen der öffentlichen Finanzen abgestimmt. In einigen Kantonen sind ab einer bestimmten Ausgabenhöhe Volksabstimmungen verpflichtend vorgeschrieben (obligatorisches Finanzreferendum). Dies wirkt sich positiv auf den Zustand der öffentlichen Haushalte aus. Kantone mit besser ausgebauten direktdemokratischen Instrument, vor allem auch den Finanzreferendum, verfügen über eine höhere Wirtschaftsleistung, geringere Staatsverschuldung und eine bessere Steuermoral als Kantone mit weniger stark ausgebauten direktdemokratischen Rechten. Positivbeispiele aus Deutschland sind Berlin und Sachsen.
Wir fordern daher, den Finanzvorbehalt für Volksbegehren zu streichen.

Frage 8: Sind sie für die Einführung bundesweiter Volksentscheide?
Hintergrund: In Deutschland haben Bürgerinnen bisher nicht das Recht, Volksbegehren zu bundespolitischen Themen zu initiieren, um einen Volksentscheid zu erreichen. Zum Beispiel die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke oder die Gesundheitsreform sind für Volksentscheide tabu. Da, wo es am wichtigsten und spannendsten ist, mitzubestimmen, ist es den BürgerInnen nicht erlaubt. Artikel 20 des Grundgesetzes spricht uns das Recht auf Abstimmungen aber zu: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen...ausgeübt“.
Position Mehr Demokratie e.V.: Die Einführung des budnesweiten Volksentscheides ist ist seit fast 25 Jahren unser wichtigstes Ziel. Um bundesweite Volksabstimmungen zu ermöglichen, ist eine Änderung des Grundgesetzes mit einer Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig.
Da im Bundesrat, der sich aus Ländervertretern zusammensetzt, ebenfalls eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich ist, ist die Frage nach bundesweiten Volksentscheiden auch eine landespolitisch bedeutsame Frage.
Wir fordern die Einführung des Volksentscheids auf Bundesebene.

All unsere Forderungen für Reformen der direkten Demokratie in Niedersachsen mit Beispielen sowie weitere Informationen finden sie in den Bereichen Bürgerbegehren bzw. Volksbegehren.