"Alles neu macht der Mai!?!" 2700km für mehr Demokratie in Niedersachsens Gemeinden

"SPD und CDU sind sich einig: Bürgerbegehren ist unzulässig" (Salzgitter-Woche)

"Bürgerwille ist uninteressant: Oberbürgermeister erklärt Bürgerbegehren Schlosspark für unzulässig" (Umweltzeitung II/2004, Braunschweig)

"Nur 22 Stimmen fehlten (*) - Knappes Ergebnis bei Bürgerentscheid in Dörverden" (Achimer Kreisblatt)

Dieses und ähnliches müssen sich niedersächsische Bürgerinnen und Bürger oft anhören, wenn sie in ihrer Gemeinde Bürgerbegehren initiieren. Es gibt zwar seit 1996 die Möglichkeit per Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in der Lokalpolitik mitzumischen, jedoch hemmt die restriktive Ausgestaltung des Verfahrens auf kommunaler Ebene Eigeninitiative und Bürgerengagement, statt sie zu fördern. So lautet die ernüchternde Bilanz, die nach über sieben Jahren Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Niedersachsen zu ziehen ist!

 

Hohe Hürden, die Anforderung des Kostendeckungsvorschlages und ein breiter Themenausschluss führten bislang dazu, dass 46,3 Prozent aller Bürgerbegehren für unzulässig erklärt wurden. Selbst wenn es zum Entscheid kam, verhinderte in vielen Fällen das Zustimmungsquorum von 25 %, dass der Bürgerwille Wirkung entfalten konnte.

Dies wurde durch die Tatsache begünstigt, dass häufig der bei Wahlen übliche demokratische Standard nicht eingehalten wird. So werden mitunter keine Benachrichtigungen verschickt, nur wenige Wahllokale geöffnet und eine Briefabstimmung ist nicht möglich.

 

Aus diesem Grunde starteten wir im Mai 2004 eine Tour durch Niedersachsen, um auf die Mängel, das Verfahren an sich und die Arbeit des Vereins aufmerksam zu machen. Anlass genug boten die von seiten der Regierung angestrebten Reformen der Gemeinde-, sowie der Landkreisordnung.

 

Eine Petition an den Landtag im Gepäck, machten wir uns auf den Weg durch 23 niedersächsische Städte und Gemeinden (von Emden bis Celle, von Cuxhaven bis Göttingen waren wir im gesamten Bundesland unterwegs). Mit dabei unser sieben Meter hohes Gesetzbuch (als "Kommunalverfassung"), welches als Attraktion dienen und der Presse ein interessantes Motiv bieten sollte. Wie schon so oft erfüllte das Display seinen Zweck hervorragend.

 

Besonders bewusst wurde uns dies bei unserem Tour-Stopp in Wilhelmshavens Fußgängerzone. Bei starkem Küstenwind, auf engem Raum - seitwärts von Schaufenstern, nach oben hin von Querverstrebungen und einer Starkstromleitung beengt - versuchten wir zunächst das Display aufzustellen, gaben dies jedoch, trotz tatkräftiger Hilfe einiger Passanten, nach mehreren Versuchen entnervt auf.

 

In den folgenden Stunden, in denen wir uns nun ohne das Gesetzbuch im Rücken mit dem Sammeln der Unterschriften versuchten, merkten wir schnell, welchen Dienst uns eben dieses in den Tagen zuvor erwiesen hatte. Mit unserem Infotisch an einer zugigen Ecke postiert, des öfteren von parkendem Lieferverkehr verdeckt, gelang es uns kaum die Bürger vor Ort zu erreichen. Einzig bummelnde Touristen aus NRW schenkten uns ab und an gutmütig Gehör, um sich dann nach lokalen Attraktionen zu erkundigen.

Um so dankbarer waren wir dafür, dass solch ein Tag ohne Display eine absolute Ausnahme darstellte. Selbstverständlich war dies nicht, da in mehreren Fällen der Einsatz des Displays durch unverhältnismäßig hohe Anforderungen der Stadtverwaltungen in Frage gestellt worden war. So war der Einsatz in Osnabrück an die Auflage geknüpft, mit s.g. "Hamburger Gittern" (Absperrgitter für Demos) dafür zu sorgen, dass niemand über unsere Abspannungen stolpern konnte. Auch in Göttingen war die Erteilung der Genehmigung bis zuletzt offengeblieben, da wir mit 48 Dezibel als eigentlich zu laut eingestuft wurden (schon ein raschelndes Blatt verursacht 10 Dezibel.... ). Nach vielen Telefonaten und einem Besuch, den uns der zuständige Beamte vor Ort abstattete, gelang es jedoch auch dort alle Bedenken zu zerstreuen.

So hielt jede Stadt ihre kleine Überraschung für uns bereit: In Salzgitter begeisterte uns das große Interesse der zur Gesprächsrunde geladenen Schüler an Demokratie in ihrer Gemeinde. In Osnabrück hingegen drängte sich nach einem Gespräch mit einer Passantin die Frage auf, ob wir die wirklichen Probleme unserer Zeit adressieren: Sie hatte ein entschiedeneres Vorgehen gegen die Nutzung von Absatz-feindlichem Kopfsteinpflaster gefordert und die Gründung einer entsprechenden Partei angekündigt.

Durchweg positiv war die Resonanz in den Medien. Neben weit über 20 Artikeln in den lokalen Zeitungen war es auch gelungen zwei lokale Radiosender und einen lokalen Fernsehsender für uns zu interessieren. Auf überregionaler Ebene verschafften uns 2 Berichterstattungen des NDR und ein Bericht von arte überraschend viel Aufmerksamkeit. Dies erleichterte das Gespräch mit Passanten mitunter spürbar und lässt auch Aufwand und Kosten in einem anderen Licht erscheinen. Besonders erfreulich war nicht zuletzt die Arbeit mit den Aktiven vor Ort. Ohne deren engagierter Einsatz die Tour in diesem Rahmen wohl kaum hätte stattfinden, geschweige denn Erfolg haben können. Auch auf diesem Wege nochmals herzlichen Dank dafür!

4 Wochen, ca. 2700 km und viele Gespräche später schlossen wir die Tour mit der Übergabe von 2170 Unterschriften an den Landtag in Hannover ab.

 

Natürlich ist es schwer zu prognostizieren ob, wann und inwieweit die notwendigen Verbesserungen vorgenommen werden. Doch die Vorzeichen dafür sind gar nicht so schlecht: Schon im September 2003 forderte der CDU-Kreisverband Oldenburg, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu reformieren. Bündnis 90/Die Grünen haben im Mai 2004 einen Gesetzentwurf eingebracht, der sich an die bayerische Rechtspraxis anlehnt. Im September diesen Jahres wird eine Anhörung vor dem Innenausschuss stattfinden. Die politische Debatte belebt sich also - und diese Tour war sicherlich ein gelungener Beitrag dazu.

Die Forderungen im einzelnen:

  • Staffelung des Unterschriftenquorums beim Bürgerbegehren
  • Verringerung des weiten Themenausschlusses, vor allem Zulassung von Bauleitverfahren
  • Streichung des Kostendeckungsvorschlages
  • Einführung einer aufschiebenden Wirkung von Bürgerbegehren, damit diese nicht durch Tatsachenpolitik im Vorfeld vereitelt werden
  • Streichung bzw. Senkung des Zustimmungsquorums
  • Sicherung demokratischer Standards wie schriftliche Benachrichtigung, Briefabstimmung und Abstimmungsheft
  • Einführung einer "Fairneßklausel" - d.h., dass die Verwaltungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei der Einleitung eines Begehrens behilflich sind