2011 – das neue Wahlrecht wurde gefeiert. Denn der Frauenanteil lag bei über 41 Prozent und viele junge Kandidierende (elf unter 35 Jahren) waren in die Bürgerschaft eingezogen. 2015 – das nicht mehr so neue Wahlrecht wird verdammt. Denn der Frauenanteil lag bei knapp 34 Prozent und es waren weniger junge Abgeordnete in die Bürgerschaft gewählt worden.
Gründe für diese Entwicklung
Doch der wichtigste Grund für diese Entwicklung liegt nicht am Wahlrecht, sondern am Wahlergebnis. 2011 stellten SPD und Grüne noch 2/3 der Abgeordneten, 2015 sank ihr Anteil auf knapp über 50 Prozent. Beide Parteien sowie die Linke achten auf eine quotierte Liste und stellen mehr junge Kandidierende auf. Das ist lobenswert. Nun haben aber bei der letzten Wahl andere Parteien zugelegt, die keine quotierten bzw. paritätisch besetzten Listen haben und die weniger junge Kandidierende aufstellen. So hat die CDU im Wahlbereich Bremen 29 Prozent Frauen aufgestellt, die FDP 21 Prozent und die AfD sogar nur 13 Prozent. Jetzt kann man den Wählerinnen und Wählern ja schlecht zum Vorwurf machen, dass sie Parteien ohne streng quotierte Listen gewählt haben.
Herr Stein hat aber Recht, dass Frauen häufiger nach hinten, Männer häufiger nach vorne gewählt werden. Dr. Esther Schröder, promovierte Volkswirtin und Feministin, stellt hierzu fest: "Kein noch so ausgeklügeltes Wahlsystem schafft per se Gleichstellung in der Politik. Denn schließlich ist Politik auch nur ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse mit ungleichen Chancen für Frauen und Männer."
So ist der Rückgang des Frauenanteils leider immer noch Trend in allen Parlamenten. In vielen anderen Landesparlamenten und auch im Bundestag liegt der Frauenanteil unter 34 Prozent (10 Parlamente), nur fünf Landesparlamente haben einen höheren Frauenanteil. Bremen nimmt insgesamt den 6. Platz ein. Nach der Logik von Herrn Stein müssten auf Bundesebene und in fast allen Landesparlamenten die Wahlkreise abgeschafft werden. Soll etwa wieder ein starres Listenwahlrecht eingeführt werden? Oder soll der CDU, FDP und AfD vorgeschrieben werden, streng quotierte Listen aufzustellen?
Die Ursachen der ungleichen Repräsentation von Frauen in den Parlamenten sind oftmals vielfältig. Sie liegen zum Teil an der fehlenden Quotierung von Parteilisten. Sie hängt aber auch damit zusammen, dass Frauen heute noch immer nicht die gleichen Chancen haben, dass sie oftmals mehr "Hindernisse" überwinden müssen, um in der Politik erfolgreich aktiv zu sein. Diese ungleichen Chancen sind der eigentliche Affront.
Andere Lösungswege
Die Befürworter/innen der Reform vom Februar schieben den Frauenanteil vor. Der Preis aber ist, dass der Einfluss der Personenstimmen deutlich zurück geht. Die Parteien könnten helfen, den Frauenanteil zu steigern, ohne das Wahlrecht zu ändern: indem sie mehr Frauen aufstellen und indem sie mehr Frauen weiter vorne auf den Listen platzieren. Das erhöht ihre Chancen, gewählt zu werden.
Junge Abgeordnete
Bei jungen Abgeordneten vergleicht Herr Stein - wie einige andere auch - das Ergebnis von 2015 mit 2011. Bei beiden Wahlen galt aber das neue Wahlrecht. Der angemessene Vergleichsmaßstab wäre der Anteil von jungen Abgeordneten in 2007 (und früher) mit deren Anteil bei der Wahl 2015. In absoluten Zahlen ist der Anteil von Abgeordneten unter 35 Jahren von elf auf acht gesunken (von 2011 auf 2015). Bei der Wahl 2007 (altes Wahlrecht) waren nur sieben Abgeordnete unter 35 Jahren in der Bürgerschaft vertreten.
Stärkung der Liste ist keine Lösung
Über die Stärkung der Liste sollen Ergebnisse gesichert werden, die nur bedingt zu sichern sind. Vor allem wird den Wählerinnen und Wählern die Freiheit genommen, selbst zu entscheiden. Wenn ihnen ein höherer Frauenanteil wichtig ist, dann können und sollten sie gezielt Kandidatinnen wählen. Mehr Demokratie e.V. ist der Ansicht, dass sich die gewünschten Aspekte (angemessene Repräsentation von Frauen und jungen Kandidierenden) gut mit dem Personalwahlrecht vereinbaren lassen, ohne den Einfluss der Wählerinnen und Wähler einzuschränken. Das sieht auch Dr. Esther Schröder so: "Menschen wählen Menschen. Frauen wählen Frauen. Auch das wäre ein gangbarer Weg zu mehr Partizipation von Frauen in der Politik und damit zu mehr Demokratie."
70.000 Unterschriften für Volksbegehren 2006
Schließlich darf nicht vergessen werden, dass vor 12 Jahren über 70.000 Menschen für ein Wahlrecht mit mehr Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments unterschrieben haben. Dass nun eine öffentliche Diskussion stattfindet, die mit einem Volksentscheid abgeschlossen werden kann, ist ein demokratischer Fortschritt. Wir rufen alle Stimmberechtigten auf, das Volksbegehren „Mehr Demokratie beim Wählen“ zu unterschreiben. Beim Volksentscheid im nächsten Jahr können dann alle gemeinsam entscheiden, welches Wahlrecht sie wollen.
Katrin Tober
Vertrauensperson des Volksbegehrens
P.S.: Der Gastbeitrag auf den wir hier reagieren, ist leider in der Online-Ausgabe des Weser-Kurier nicht verfügbar. Daher können wir an dieser Stelle nicht auf ihn verlinken.