Vier Fortschritte möglich

SPD und Grüne in Niedersachsen vereinbaren einige demokratie-politische Reformen – so steht es im Koalitionsvertrag. Auf den ersten Blick wirkt das gar nicht mal so schlecht. Der zweite Blick fällt etwas nüchterner aus.

SPD und Bündnis 90 / Die Grünen haben gestern ihr Regierungsteam und die Eckpunkte ihrer inhaltlichen Vereinbarungen vorgestellt. Heute nehmen wir den Koalitionsvertrag unter die Lupe: Wollen die beiden künftigen Koalitionspartner Fortschritte in den Bereichen direkte Demokratie, Bürgerbeteiligung und Transparenz verwirklichen? Die Kurzantwort lautet: Ja, vier Fortschritte. Plus einen Fortschritt, der mittelbar sehr wichtig ist. Doch der Teufel steckt in den Formulierungen: Nicht jede Reform wird klar formuliert und wirklich forsch angestrebt. Und eine wird von der CDU blockiert.

Fortschritt eins: Endlich ein Transparenz-Gesetz
In unserem Transparenzranking belegt Niedersachsen den letzten Platz, zusammen mit zwei weiteren Bundesländern. Von hundert möglichen Punkten erhält unser Bundesland exakt null. Aus den Tagen der ersten rot-grünen Koalition liegt ein Transparenzgesetz in der Schublade. Es wurde nicht verabschiedet, weil die Koalition bekanntlich zerbrach und von Rot-Schwarz abgelöst wurde. Nun wollen SPD und Grüne offenbar Nägel mit Köpfen machen. Das beschlossen sie:

„Für eine freie und transparente Gesellschaft werden wir in Niedersachsen ein modernes und umfassendes Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz schaffen. Staatliche Stellen werden dabei verpflichtet, alle relevanten Informationen digital in einem Transparenzregister zu veröffentlichen. Nur zum Schutz von personenbezogenen Daten oder zum Schutz wesentlicher öffentlicher Belange soll der Informationszugang in begründeten Ausnahmefällen beschränkt werden können.“

„Werden“: Das klingt gut und entschlossen. Alle anderen Formulierungen sind konkret und detailreich. Das sollte etwas werden. Hinzu kommt: Die Begriffe „Transparenz“ und „transparent“ tauchen insgesamt 21 mal im Koalitionsvertrag auf. Transparenz wird ernstgenommen.

 

Fortschritt zwei:  Hürden bei der direkten Demokratie auf Landesebenekönnten gesenkt werden
Im Ranking von Mehr Demokratie nimmt Niedersachsen stets einen der hinteren Plätze ein, wenn es um die direkte Demokratie auf kommunaler- wie auf Landesebene geht. Zu hohe Hürden, zu viele Tabuthemen – so die Kurzfassung unserer Kritik. Die Langfassung finden Sie dort respektive dort Rot-Grün hat immerhin die hohen Hürden als Hindernis erkannt. Was die Landesbene angeht, formulieren die beiden Parteien ihren Arbeitsauftrag mittelklar:

„Wir wollen die Chancen direkter Demokratie im Land besser nutzen. Deshalb streben wir die Senkung der Hürden für Volksbegehren sowie für Volksentscheide an. Volksentscheide müssen unter den gleichen Bedingungen wie allgemeine Wahlen durchgeführt werden.“

„Streben an“ ist leider nicht die härtest denkbare Formulierung in der Sprache der Parteidiplomaten. „Werden“ und „wollen“ liegen auf den Plätzen eins und zwei. „Streben an“ belegt nur Rang drei. Schau’n wir mal!

Für die kommunalen Ebene ist die Formulierung noch einen Tacken weicher. Die Senkung der Hürden wird hier nicht angestrebt, sie soll lediglich geprüft werden. Heißt: Die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung ist sehr gering.


Fortschritt drei: Bürgerräte werden möglich
Bürgerräte boomen: auf Bundesebene will der Bundestag sie einsetzen, in den Kommunen sind sie gang und gäbe. Auf Landesebene jedoch gab es bisher nur wenige Bürgerräte, nämlich zum Thema Coronamaßnahmen in Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen. Das steht nun im niedersächsischen Koalitionsvertrag zum Thema Bürgerräte:

„Zur Stärkung der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an politischen Prozessen schaffen wir die Möglichkeit, zu ausgewählten Themen Bürgerräte einzurichten.“

Zum Vergleich – so klingt eine forsche Ansage in Sachen Bürgerräte: „Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren.“ Entnommen ist die Passage dem Koalitionsvertrag der Ampelkoalition.

Während auf Bundesebene mit Bundestagspräsidentin Bärbel Baas eine prominente Sozialdemokratin das Thema Bürgerräte pusht und viele SPD-Abgeordnete davon überzeugt sind, bleiben die niedersächsischen Genossinnen und Genossen eher etwas zurückhaltend.

Gleichwohl könnte Niedersachsen unter den Ländern sogar eine kleine Vorreiterolle einnehmen, wenn es denn die Möglichkeit, Bürgerräte einzusetzen, nicht nur schüfe, sondern auch nutzte.


Fortschritt vier: Die Digitalisierung wird in Angriff genommen
Das Thema Digitalisierung zieht sich wie ein rot-grüner Faden durch den Vertrag. Insbesondere, und das ist potenzieller Fortschritt Nummer vier, findet sich eine lange Passage zur Digitalisierung der Verwaltung – eine unverzichtbare Voraussetzung für Transparenz. Noch gibt es erhebliche Verbesserungspotenziale.

Nun wollen SPD und Grüne die Kommunen unter anderem durch „die Bereitstellung von zentralen IT-Infrastrukturen und einheitlichen Standards“ unterstützen. Ein weiteres Versprechen: „Jede Bürgerin und jeder Bürger soll die zentralen Verwaltungsleistungen des Landes und der Kommunen in Zukunft digital nutzen können.“ Klingt gut. Doch zu den Verwaltungsleistungen zählt aus unserer Sicht auch die Unterschrift bei Bürger- oder Volksbegehren. Auch sie sollte also auf digitalem Wege möglich sein. In unseren Wahlprüfsteinen hatte die SPD das aber noch abgelehnt, während sich die Grünen dafür aussprachen.

 

Fortschritt fünf scheitert wohl an der CDU
In einem Drittel aller Bundesländer dürfen Jugendliche ab 16 Jahren den Landtag mitwählen. In Niedersachsen könnte das auch der Fall sein, wenn es nach SPD und Grünen geht: „Das Wahlalter wollen wir auf mindestens 16 Jahre senken und alle demokratischen Fraktionen im Landtag dafür gewinnen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Allerdings müsste dazu Artikel 8 der Landesverfassung geändert werden, dazu bräuchten SPD und Grüne die Zustimmung der CDU. Die CDU hat aber bereits angekündigt, Rot-Grün in dieser Frage ausbremsen zu wollen.

 

Fazit: Wir sind gespannt auf die konkreten Gesetze
Nach fünf in Sachen Demokratie-Entwicklung ernüchternden Jahren könnte sich ein Aufbruch anbahnen. Dessen Größe wird sich in der Praxis zeigen: Welche Taten folgen auf die manchmal etwas laschen und unkonkreten Worte? Während die SPD zusammen mit der CDU demokratie-politischen Stillstand generierte, könnte nun in der Kooperation mit den Grünen frischer Wind durchs Land wehen.

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