1. November: 25 Jahre Bürgerbegehren in Niedersachsen

[21/21] Mehr-Demokratie-Sprecher Schumacher: „Eine direkt-demokratische Kultur muss sich noch herausbilden. Doch dafür müssen die Regeln stimmen!“

Am kommenden Montag feiert die direkte Demokratie in den niedersächsischen Kommunen ein rundes Jubiläum: Sie wird 25 Jahre alt. Der Landtag beschloss 1996 mit den Stimmen der alleinregierenden SPD eine Reform, die unter anderem Bürgerbegehren und Bürgerentscheide einführte. Seit dem 1. November 1996 können Bürgerinnen und Bürger politische Entscheidungen in ihrer Kommune selbst in die Hand nehmen. Seitdem kam es in 441 Fällen zu einem Bürgerbegehren und zu 133 Bürgerentscheiden. Zwei Beispiele: In Osnabrück wurde so eine städtische Wohnungsbaugesellschaft ins Leben gerufen. Und die Landeshauptstadt Hannover steigt nach einem Kompromiss zwischen Politik, Stadtwerken und den Initiatoren eines Bürgerbegehrens wohl schneller als geplant aus der Kohleverstromung aus.

„Das klingt nicht schlecht. Aber andere Bundesländer sind viel weiter als wir“, resümiert Dirk Schumacher, Landessprecher des Fachverbands Mehr Demokratie e.V. Aktuell belegt Niedersachsen im Bundesländer-Ranking von Mehr Demokratie einen der hintersten Plätze. Eine direktdemokratische Kultur habe sich in Niedersachsen noch nicht etablieren können. „Dafür gibt es einen Grund“, sagt Schumacher. „Die Regeln sind bei uns in Niedersachsen viel weniger bürgerfreundlich als in den meisten anderen Bundesländern. Und der Landtag hat sie vor wenigen Tagen erneut verschlechtert.“

Doch bekanntlich lassen sich Gesetze auch verbessern. „Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann würde die nächste Kommunalwahlperiode 2026 mit neuen gesetzlichen Grundlagen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden beginnen“, blickt Schumacher fünf Jahre nach vorn. Alles, was es brauche, sei ein politischer Wille und eine bürgerfreundliche Landtagsmehrheit.

 

Vorschlag 1: Den Negativ-Katalog zusammenschrumpfen

In Niedersachsen darf heute zu vielen politischen Themen kein Bürgerentscheid gestartet werden. „Der Negativ-Katalog ist viel zu groß. Man kann ihn verkleinern durch eine simple Verschlankung des Paragrafen 32 des Kommunalverfassungsgesetzes.“ Schumachers Vision: „Im Jahr 2026 dürfen die Menschen Bürgerbegehren zu allen Themen einleiten, über die auch ein Kommunalparlament abstimmen darf.“ Insbesondere die Themenausschlüsse zu Bauleitplanung und zu Krankenhausstandorten sind dann Geschichte.

 

Vorschlag 2: Unterschriften-Sammlung digitalisieren

In den großen Städten ist es heute besonders kompliziert, genügend Unterstützer-Unterschriften zu sammeln. Dort wohnen aber auch besonders viele technikaffine Menschen. Die Idee: Im Jahr 2026 können die Niedersachsen ein Bürgerbegehren auch per Smartphone-App unterstützen. Schumacher: „Ich logge mich mit Nutzernamen und Passwort ein, klicke den ‚Unterstützen‘-Button und schon gehen die Daten an die Kommune. Dank elektronischem Identitätsnachweis ist eindeutig, dass ich es bin, der da unterschreibt“, so Schumacher. Doch werde so nicht nur das Unterschriften-Sammeln erleichtert, sondern auch der Aufwand der Verwaltung gemindert. „Die Gemeinde muss dann nicht mehr stichprobenartig handschriftliche Unterschriften mit jenen im Einwohnermeldeamt hinterlegten abgleichen.“

 

Vorschlag 3: Die Mehrheit entscheidet

Bei einem Bürgerentscheid reicht es aktuell nicht, wenn die Mehrheit der Abstimmenden mit Ja votiert. Die Mehrheit muss auch mindestens ein Fünftel aller Wahlberechtigten umfassen. „Bereits 41 Bürgerentscheide in niedersächsischen Kommunen scheiterten, obwohl eine Mehrheit mit Ja stimmte, meist eine sehr, sehr deutliche Mehrheit. Demokratie geht anders“, sagt Dirk Schumacher. „Ein Zustimmungsquorum wirkt demobilisierend und verfälscht oft die Präferenzen der Bevölkerung, das belegen unter anderem die Arbeiten von Volker Mittendorf.“ Seine Alternative: „Ohne Zustimmungsquorum können die Ja-Leute und müssen die Nein-Leute viel besser mobilisieren.“

Funfact: Bei Parlamentswahlen gilt selbstverständlich kein Zustimmungs-Quorum. Dabei konnten bei der Bundestagswahl 2021 die erstplatzierten Direktkandidaten in den Berliner Wahlbezirken Lichtenberg, Neukölln, Pankow, Marzahn-Hellersdorf und Reinickendorf weniger als 20 Prozent der Wahlberechtigten von sich überzeugen.* „Dennoch haben wir keine Debatte darüber, ob Gesine Lötzsch und Monika Grütters in den Bundestag einziehen dürfen. Das wäre ja auch absurd“, betont Schumacher.

*Beispielrechnung: Monika Grütters errang 34.233 Erststimmen, das entspricht einem Anteil von 19,4 Prozent an den 176.585 Wahlberechtigten des Wahlkreises Berlin-Reinickendorf.

 

Jubiläums-Broschüre erscheint im Frühjahr

Mehr Demokratie wird im Frühjahr eine Broschüre zum ersten Vierteljahrhundert kommunaler Bürgerentscheide und Bürgerbegehren in Niedersachsen veröffentlichen.