Arroganz der Technokraten

Sind Bürgerentscheide über Krankenhaus-Standorte zu komplex für das Volk? Das scheint man im niedersächsischen Innenministerium zu glauben. Mehr Demokratie-Landessprecher Dirk Schumacher sieht das anders.

Dirk Schumacher traut den Bürgern einiges zu. Wenn man sie lässt...

Die taz Nord war so freundlich, unsere Pressemitteilung  Niedersachsen: Allerletzter Bürgerentscheid über ein Krankenhaus? aufzugreifen. Autor Reimar Paul überschrieb seinen Artikel mit den Worten „Bürgerentscheide über Kliniken: Zu komplex für das Volk?“ und lässt auch Simone Schelk, die Pressesprecherin des niedersächsischen Innenministeriums, zu Wort kommen. Darüber freuen wir uns – und unser niedersächsicher Landessprecher Dirk Schumacher antwortet Frau Schelk sehr gerne. Das ist seine Erwiderung zu den fünf wichtigsten Punkten, gefolgt von einem konstruktiven Verbesserungsvorschlag:

Das Statement des Innenministeriums zeigt, dass die Landesregierung den Menschen nicht viel zutraut. Nein, Bürgerentscheide über  Krankenhausfragen sind nicht zu komplex für das Volk, wie man im Innenministerium offenbar glaubt.  Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind sehr wohl geeignet, um auch über diese Themen zu entscheiden.  Was ‚bedarfsgerecht‘ und wie viel ‚Wirtschaftlichkeit‘ erträglich ist, das können die Menschen mit den nötigen Infos auch selbst  beurteilen. Wer, wenn nicht sie?

Ja, Bürger wollen oft bestehende Strukturen erhalten. Da hat Frau Schelk recht. Dafür gibt es einen Grund: Landesregierung und Kommunen fällt selten etwas anderes ein, als mehrere etablierte Krankenhäuser zu schließen, um ein einziges neues auf die grüne Wiese zu stellen. Motto: Seht halt zu, wie ihr damit klar kommt!

Die ‚oft unterschiedlichen Vorstellungen‘ (Zitat Schelk) sollte man ausdiskutieren. So ist es in der Demokratie üblich. Wichtig ist eine frühzeitige Einbindung der Bürger.

Im Übrigen geht es in der Politik immer darum, ‚komplizierte Sachverhalte zwangsläufig auf eine simple Ja-/Nein-Entscheidung [zu] reduzieren‘ (Zitat Schelk). Wer je eine Parlamentsdebatte verfolgte, weiß das.

Last not least: Nein, die Pläne der Landesregierung enthalten nicht ‚eine erhebliche Ausweitung‘ von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden bei einer ‚sehr punktuellen Einschränkung‘. Das ist schlicht falsch.  Denn für die Einleitung eines Bürgerentscheids durch den Rat braucht es eine Zweidrittel-Mehrheit. Dazu wird es also nur selten kommen. Das wäre nur ein kleines Schmankerl. Der  Themenausschluss hingegen ist gravierend.

Die gute Alternative: der Bürgerrat

Um endlich zum Positiven zu kommen: Es gibt mit dem Bürgerrat ein relativ neues und sehr erfolgreiches Instrument. In Irland löste es die jahrezehntelangen Konflikte um Abtreibung und Ehe für alle. In Deutschland debattierte neulich ein Bürgerrat über ‚Deutschlands Rolle in der Welt‘. Gewiss kein unterkomplexes Thema! Die Politik griff die Ergebnisse auf. Viele Medien berichteten.

Für einen Bürgerrat werden Bürgerinnen und Bürger zufällig ausgelost. Sie hören und befragen Experten, beraten ein Thema gemeinsam und legen der Politik dann Vorschläge vor.

Was im Großen gelingt, dürfte auch auf kommunaler und auf Landesebene funktionieren. Über die Vorschläge des Bürgerrats sollte es einen Bürgerentscheid geben. Das geht aber nur dann, wenn wir jetzt den Themenausschluss jetzt kippen. Eigentlich steht einer guten Lösung nur eines im Weg: Die Arroganz der Technokraten.