Am kommenden Sonntag findet der elfte und damit wohl letzte Bürgerentscheid des Jahres 2021 in einer niedersächsischen Kommune statt. So viele Bürgerentscheide gab es in unserem Bundesland bisher nur einmal: im Rekordjahr 2019. „Die Zahl ist natürlich erfreulich. 2020 konnten wir einen Rekord an Bürgerbegehren verzeichnen, nun folgt zeitversetzt der Rekord an Bürgerentscheiden“, sagt Dirk Schumacher, Landessprecher des Fachverbands Mehr Demokratie e.V. Von den bisherigen Bürgerentscheiden dieses Jahres waren sechs erfolgreich im Sinne der Initiatorinnen und Initiatoren. Das entspricht einer Quote von 60 Prozent. „Das zeigt: Die Bevölkerung kann und will Einfluss nehmen in ihrer Kommune“, meint Schumacher.
Boom-Bremse: Die Landespolitik
Allerdings ist seine Stimmung nicht ungetrübt: Der Landtag hat die Regeln für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide unlängst verschlechtert, indem er die Themen Krankenhaus-Standorte und Rettungsdienst ausschloss. Auch müssen Initiatoren eines Bürgerbegehrens jetzt auf eine Kostenschätzung der Verwaltung warten – und das kann dauern, denn es wurde keine Frist definiert. Schumacher: „Die Bürgerinnen und Bürger wollen mitbestimmen, die Landespolitik legt ihnen einen weiteren Stein in den Weg.“
Elfter Bürgerentscheid stößt neue Debatte an
Am Sonntag sind die Wahlberechtigten der friesischen Gemeinde Sande an die Abstimmungs-Urnen gerufen – sofern sie nicht vorab per Brief abgestimmt haben. Konkret geht es am Wochenende darum, ob das Dorfgemeinschaftshaus im Sander Ortsteil Cäciliengroden erhalten werden soll. Für viele Kommunalpolitiker ist das Haus lediglich ein Kostenfaktor. Die mit 300.000 Euro veranschlagten Sanierungskosten werden als zu hoch empfunden. Gegen den Abriss wendet sich eine lokal verwurzelte Bürgerinitiative: Ein wichtiger Treffpunkt drohe zu entfallen, der für das Zusammenleben als wichtig erachtet wird. Er sei ideal für Veranstaltungen, stärke das Vereinsleben.
Direkte Demokratie: Mehr als Ja versus Nein
Durch das Bürgerbegehren wurde eine Debatte über eine ergänzende oder alternative Nutzung angestoßen. Das Gebäude wurde nun auch als potenzielles Mehrgenerationenhaus, als Standort für einen Dorfladen oder eine Infozentrum zum Weltnaturerbe angesehen. „Das Bürgerbegehren belebte die Debatte. Plötzlich ist das Bild nicht mehr so Schwarz-Weiß“, so Dirk Schumacher. „Ein Effekt, den wir oft erleben. Dogmen fallen. Es öffnen sich neue Türen. Mitunter werden auch neue Wege beschritten. Es geht bei direkter Demokratie eben nicht nur darum, mit Ja oder Nein zu stimmen.“
Niedersachsen: Insgesamt 134 Bürgerentscheide
Sande wird ab dem kommenden Wochenende die 15. niedersächsische Gemeinde, in der mehr als ein Bürgerentscheid stattgefunden hat. Auch der erste Bürgerentscheid drehte sich um ein Gemeinde-Gebäude: Im Januar 2000 ging es um den Neubau einer Sozialstation. Das von den oppositionellen Ratsfraktionen (u.a. CDU, Grüne und FDP) getragene Bürgerbegehren schlug eine als kostengünstiger beworbene Alternative vor, konnte im Bürgerentscheid aber nur 31 Prozent Ja-Stimmen hinter sich vereinen.
Der am Sonntag stattfindende kommunale Bürgerentscheid ist der insgesamt 134. in der Geschichte Niedersachsens. Unser Bundesland war ein Nachzügler der direkten Demokratie – und blieb es. Erst seit Ende 1996 sind hier kommunale Bürgerbegehren und Bürgerentscheide möglich. Die Regeln sind weitaus weniger bürgerfreundlich als in den meisten anderen Bundesländern. Niedersachsen belegte daher im Bundesländer-Ranking von Mehr Demokratie bisher stets einen der hinteren Plätze. Im Westen ist nur das Saarland schlechter.