Volksentscheids-Ranking: Niedersachsen droht Absturz

[PM 12/21] Neues Volksentscheidsranking: Vier Bundesländer haben die direkte Demokratie reformiert. Note 3 an die Länder, Note 6 an die Bundesregierung. Niedersachsen droht ein Absturz nach ganz unten.

Während bundesweite Volksentscheide auf die lange Bank geschoben werden, hat sich die direkte Demokratie in den Bundesländern etabliert und wird langsam aber stetig weiterentwickelt. Das zeigt das Volksentscheidsranking 2021 des Fachverbandes Mehr Demokratie. „Insgesamt werden die Regelungen bürgerfreundlicher. Seit dem Ranking von 2016 haben weitere vier Bundesländer Volks- und Bürgerbegehren erleichtert“, sagt Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie.

Damit hat sich die Durchschnittsnote aller Bundesländer von 4,1 im Jahr 2003 auf den bisher besten Wert von 3,3 verbessert. „Die Länder haben eine 3 auf dem Zeugnis. Die Bundesregierung erhält eine glatte 6. Sie hatte sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Einführung des bundesweiten Volksentscheids ernsthaft zu prüfen und hat nicht einmal die dafür vorgesehene Kommission eingesetzt“, so Beck.

Niedersachsen: Schulnote 4 nicht mehr schlecht genug?
Die Bundesländer, in denen Reformen nur sehr zögerlich angegangen werden, wie Niedersachsen, Brandenburg  oder Mecklenburg-Vorpommern, rücken derweil im Volksentscheidsranking immer weiter nach hinten (Plätze 13 bis 15). In Niedersachsen droht nun sogar ein erheblicher Rückschritt. Offenbar ist dem nördlichen Bundesland die Schulnote „ausreichend“ nicht mehr schlecht genug. Künftig sollen insbesondere keine Bürgerentscheide mehr über Krankenhausstandorte möglich sein, so will es die Regierungsmehrheit im Landtag.

„Das Thema Krankenhausschließungen bewegt die Menschen wie kaum ein anderes. Doch ausgerechnet hier sollen sie nicht mitbestimmen dürfen.  Anscheinend herrscht in Hannover Angst vor einer Welle von Bürgerentscheiden gegen Krankenhausschließungen“, ärgert sich Marcus Meier, Pressesprecher des Landesverbandes Bremen/Niedersachsen.

Es ginge auch anders: „Niedersachsen sollte nicht weniger, sondern mehr Demokratie wagen. Die geplanten Themenausschlüsse müssen vom Tisch.“ Die Bürgerinnen und Bürger sollten über alles abstimmen dürfen, worüber auch ein Stadtrat abstimmen darf. Die Hürden sollten gesenkt werden, damit nicht, wie unlängst in der Samtgemeinde Brookmerland, eine Drei-Viertel-Mehrheit für ein Ja rechtlich ein Nein bedeutet. Die Verfahren könnten bürgerfreundlicher gestaltet werden, beispielsweise durch flexiblere Fristen und klare Fristen für die Zulässigkeitsprüfung. Das Land könnte sichere elektronische Unterschriftensammlungen für Volks- und Bürgerbegehren ermöglichen. Meier: „Die Zeit bleibt nicht stehen. Und Mut tut gut.“

Bürgerfreundliche Regelungen, lebendige Praxis
Ganz vorn im Ländervergleich der direkten Demokratie insgesamt liegen Bayern und Bremen (beide Note 2,3), gefolgt von Hamburg (2,4) und Schleswig-Holstein (2,5). Ralf-Uwe Beck: „In Bayern zeigt sich der Zusammenhang von bürgerfreundlichen Regeln und einer lebendigen Praxis am deutlichsten. Gleichzeitig wird deutlich, dass die direkte und die parlamentarische Demokratie sich gut ergänzen können.“ 40 Prozent aller in deutschen Kommunen gestarteten Bürgerbegehren finden im Freistaat statt. Mit 60 angestoßenen Volksbegehren liegt Bayern auch auf Landesebene vorn. Die besten Regeln für Volksbegehren auf Landesebene werden Hamburg attestiert (Note 2,2), die besten Regeln für Bürgerbegehren in den Kommunen hat Thüringen (Note 1,6). In beiden Ländern gehen die Regelwerke auf Initiativen von Mehr Demokratie zurück.

Seit dem ersten Volksentscheidsranking 2003 haben Bremen, Baden-Württemberg, Thüringen und Berlin die größten Reformsprünge gewagt. Seit dem letzten Ranking von 2016 konnten vor allem Berlin (+0,5) und Hessen (+0,4) ihre Noten verbessern. Auch Niedersachsen beschloss 2016 moderate Reformen. Seitdem erleben wir einen kleinen Boom der direkten Demokratie in Niedersachsens Kommunen: 2020 wurden dreieinhalb mal so viele Bürgerbegehren gestartet wie drei Jahre zuvor. Die Landespolitik hat die Wahl: Will sie den Boom füttern oder abwürgen?

Auf dem letzten Platz liegt derzeit das Saarland, dessen restriktive Regelungen sich auch auf die Praxis auswirken: Während in Bayern seit Einführung der direkten Demokratie 3.157 Initiativen auf der Kommunalebene starteten, erlebte das Saarland erst 16 Bürgerbegehren.

Hintergrund zum Volksentscheidsranking
Mehr Demokratie vergleicht und bewertet seit 2003 die Regelungen der direkten Demokratie auf Kommunal- und Landesebene in allen Bundesländern nach einem wissenschaftlichen Verfahren. Zu Grunde liegt ein optimales Design der direkten Demokratie, das sich an bereits etablierten Regelungen sowie am Ideal einer bürgerfreundlichen Demokratie orientiert und außerdem den praktischen Umgang mit Bürger- und Volksbegehren im jeweiligen Bundesland mit einbezieht. Das Volksentscheidsranking 2021 ist der sechste Ländervergleich.

Volksentscheidsranking 2021 und ausgewählte Grafiken finden Sie unter: https://www.mehr-demokratie.de/volksentscheidsranking