Denn SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und voraussichtlich die CDU planen Änderungen, die den Kern des personalisierten Wahlrechts aushöhlen würden, für das damals mehr als 70.000 Menschen unterschrieben haben.
Zwei Bürgerschaftswahlen fanden bisher unter dem aktuellen Wahlrecht statt. Die Wähler/innen haben fünf Stimmen, die sie beliebig auf Personen und Parteilisten verteilen können. Diese Möglichkeiten nutzten sie 2011 und 2015 intensiv. Im Vergleich zum vorherigen Einstimmenwahlrecht mit starren Parteilisten stieg dadurch der Einfluss der Wähler/innen auf die Zusammensetzung des Parlaments: Bei der Wahl im Mai 2015 verdankten 22 der 83 Abgeordneten ihr Mandat den Personenstimmen. Nach dem alten Listenwahlrecht hätten sie keine Chance auf ein Mandat gehabt.
Vordergründig soll nach dem Willen der Parteien alles gleich bleiben: Weiterhin können fünf Stimmen frei verteilt werden. Einzig das Sitzzuteilungsverfahren wollen sie ändern. Vom Verhältnis der Listen- und Personenstimmen einer Partei ist abhängig, wie viele Kandidat/innen über die Liste und wie viele über die Personenstimmen ins Parlament einziehen. Bisher werden zuerst die Listenplätze vergeben, danach die restlichen Mandate nach Personenstimmen. Diesen Mechanismus wollen die Parteien umdrehen und zuerst nach Personenstimmen die Mandate verteilen. Was sich einleuchtend anhört, verringert die Chancen von Kandidat/innen auf hinteren Plätzen. Bei der letzten Wahl hätten nicht mehr 22, sondern nur noch neun von ihnen den Sprung in die Bürgerschaft geschafft. Denn die Rangfolge nach Personenstimmen oben bestätigt meist die Parteiliste, weil die oberen Listenplätze oft auch viele Personenstimmen erhalten. Relevante Unterschiede zwischen der Platzierung durch die Parteiliste und dem Wählerwillen ergeben sich erst weiter unten. Wenn zuerst Personenmandate und danach die restlichen Mandate nach Liste vergeben werden, kommen diese Unterschiede jedoch oft nicht mehr zum Tragen. Die Pläne von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linken stärken also vor allem die Parteilisten und reduzieren den Einfluss der Wähler/innen.
Vorwürfe an das aktuelle Wahlrecht – es verringere die Wahlbeteiligung oder benachteilige jüngere Menschen und Frauen - bestätigen sich nicht oder nur in geringem Maße. Tatsächliche Probleme, die solche Mischsysteme mit Personen- und Listenstimmen mit sich bringen können, werden mit den Partei-Vorschlägen dagegen nicht gelöst (Fremdverwertung, Stimmen-Paradoxon). Mehr Demokratie will es besser machen und bereitet deshalb ein Volksbegehren vor.
Das haben die Mitglieder des Bremer Landesverbandes auf einer Versammlung im Mai beschlossen. Wir wollen den Einfluss der Wählerinnen und Wähler sichern und gleichzeitig die bestehenden Probleme des Wahlrechts lösen.
Auf einer weiteren Versammlung unserer Mitglieder Anfang Juni ging es darum, für welches Wahlrechtsmodell wir uns einsetzen. Beschlossen wurde unsere Forderung, dass in Zukunft nur noch Personenstimmen ausschlaggebend für die Vergabe der Abgeordnetenmandate sind. Gleichzeitig soll es aber Listenstimmen geben, die als Stimmen für die jeweilige Partei gewertet werden und als Enthaltung bei der Vergabe der Mandate. Das würde Probleme lösen und den Einfluss sichern.
Unklar ist im Moment, wie die Wahlgesetzänderung von statten gehen soll. Erst hieß es, schnell, noch vor der Sommerpause. Linke und Grüne beschlossen flugs auf Parteitagen, was sie am Wahlrecht ändern wollen. Und nun soll doch erst ein Bürgerschafts-Ausschuss eingesetzt werden. Es kann also dauern.
Wir warten nicht auf eine Gesetzesänderung durch die Bürgerschaft, denn der Zeitplan ist eng, damit der dritte Schritt, der Volksentscheid, parallel zur Bundestagswahl 2017 stattfinden kann. Im ersten Schritt müssen 5.000 Unterschriften für den Zulassungsantrag gesammelt werden, dafür ist Zeit bis Ende Juli. Anschließend müssen innerhalb von drei Monaten (wahrscheinlich im Spätsommer und Herbst) 25.000 gültige Unterschriften für das Volksbegehren zusammenkommen. Dann könnten die Wähler/innen 2017 selbst über Änderungen am Wahlrecht entscheiden. Wenn die Parteien beim Volksentscheid einen eigenen Entwurf mit zur Abstimmung stellen, hätten sie die Wahl zwischen diesem und dem Vorschlag von Mehr Demokratie.