Bilanz: Neues Bremer Wahlrecht funktioniert

Von Paul Tiefenbach

Am Sonntag, dem 22. Mai wurde in Bremen zum ersten Mal nach dem neuen Fünf-Stimmen-Wahlrecht gewählt. Als ich am Montag den Besitzer des kleinen Kiosks in meinem Stadtteil nach seiner Meinung fragte, zeigt er sich positiv angetan. Er habe für Mustafa Öztürk gestimmt, das sei der einzige der ganzen Politiker, der sich um die kleinen Ladenbesitzer kümmere. Als die Ergebnisse bekannt wurden, stellte sich heraus, dass mein Zigarettenhändler offensichtlich nicht alleine stand mit seiner Meinung über Mustafa Öztürk. Gestartet war er auf dem aussichtlosen Platz 24 der grünen Liste, am Ende stand er auf Platz 3 und konnte sein Bürgerschaftsmandat behalten. Nur die beiden grünen Senatoren (Minister) hatten mehr Personenstimmen erhalten. Das Geheimnis hinter seinem Erfolg: Öztürk hatte während der vier Jahre im Bremer Parlament viel Zeit damit verbracht, durch die Stadtteile zu laufen und mit den Bürgern zu sprechen. Vor der Wahl reichten ihm dann drei Wochen intensiver Wahlkampf, der im Wesentlichen daraus bestand, Infotische machen und Handzettel zu verteilen. Nach eigenen Angaben hat er etwa 3.000 Euro ausgegeben.

Ähnlich ging es Elombo Bolayela. Vor zwanzig Jahren floh er aus dem Kongo und beantragte Asyl in Bremen. Seit zwei Jahren ist er in der SPD. Ursprünglich auf Platz 41 weit hinten platziert, stand er nach der Wahl bei den Personenstimmen auf Platz 6. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wird die Bremer Bürgerschaft einen dunkelhäutigen Abgeordneten in ihrer Mitte habe. Der Betriebsrat eines Baumarkts ist in Kirchengemeinden sehr engagiert. Auch auf der CDU-Liste verdankt eine Aufsteigerin ihren Erfolg dem Engagement in der evangelischen Kirche. In mindestens zwei Fällen profitierten prominente Kandidaten vom neuen Wahlrecht, die bei ihrer eigenen Partei in Ungnade gefallen waren und deshalb einen schlechten Listenplatz erhielten. Einer ist der bisherige Fraktionsvorsitzende der Linken, Peter Erlanson, wegen seiner Frisur und seiner politischen Überzeugung auch als Karl Marx von Bremen bekannt. Vor vier Jahren noch Spitzenkandidat kam er 2011 nur auf Listenplatz 12. Die Wähler schätzten den engagierten Betriebsrat aber höher ein. Nach Personenstimmen belegte er Rang 3 und musste sich nur der Spitzenkandidatin und einem Migranten geschlagen geben.

Mandatsrelevanz in Bremen und Bremerhaven

Insgesamt sind 16 von 68 Bürgerschaftsabgeordneten im Wahlbereich Bremen nur durch das neue Wahlrecht in die Bürgerschaft gekommen. Dies entspricht einer Mandatsrelevanz von 23,5 Prozent. Migranten hatten Vorteile: Im Wahlbereich Bremen wurden neun Kandidaten mit Migrationshintergrund gewählt, ginge es rein nach Listenplätzen wären es nur fünf gewesen. Der Anteil der Frauen blieb gleich. Politische Prominenz nütze nur auf den Spitzenpositionen. Doch selbst eine Senatorin der SPD kam nach Personenstimmen nur auf Platz 11, der Fraktionsvorsitzende der SPD erreichte Platz 16 – die Partei hatte ihn auf Platz 5 der Liste gesetzt.

  Bremer Modell (erst Listenplätze, dann Personenplätze) Nds. Modell (erst Personenplätze, dann Listenplätze)
Wahlbereich Bremen 16 von 68 (23,5%) 6 von 68 (8,8 %)
Wahlbereich Bremerhaven 2 von 15 (13,3 %) 0 von 15
Bremerhaven (Stadtverordnetenversammlung) 9 von 48 (18,75%) 2 von 48 (4,2%)

Nutzung des neuen Wahlrechts

Insgesamt wurde das Wahlrecht von den Bürgern gut angenommen. Die Wahlbeteiligung sank zwar um etwa 1,5 Prozent auf jetzt 55,9 Prozent, doch ist das ein geringer Rückgang angesichts der Tatsache, dass keinerlei Hoffnung auf einen Regierungswechsel bestand. 63 Prozent der Wähler nutzten mindestens eine der neuen Möglichkeiten des Wahlrechts. Sie vergaben Personenstimmen oder wählten mehrere Parteien. Auch in den Medien des Zwei-Städte-Staates waren die Kommentare zum neuen Wahlrecht überwiegend positiv. Ein Problem sind allerdings die ungültigen Stimmen – sie stiegen von 1,4 auf 3,3 Prozent an. Das ist zwar ein durchschnittlicher Wert für Wahlrechte, die Kumulieren und Panaschieren erlauben. Dennoch ist es bedauerlich und Mehr Demokratie wird Vorschläge ausarbeiten, durch sogenannte „Heilungsregeln“ die Anzahl ungültiger Stimmen zu senken.

  Land Bremen WB Bremen WB Bremerhaven
Alle Stimmen an eine Liste 37,10% 34,80% 49,40%
An eine Person oder gemischt innerhalb der Liste 33,40% 34,90% 25,60%
An mehrere Gesamtlisten 10,90% 10,70% 12,30%
An Personen oder Listen in mehreren Parteien 18,60% 19,70% 12,80%

Wahlergebnisse im Detail

Umfangreiche Zahlen zur Wahl 2011 präsentiert der Landeswahlleiter auf seiner Internetseite

  • Amtliches Endergebnis (mit Liste der gewählten Bewerberinnen und Bewerber.)

  • Übersicht mit den für die Kandidatinnen und Kandidaten abgegebenen Stimmen, getrennt nach den Wahlbereichen Bremen und Bremerhaven.

  • Das Wahlrecht hat sich bewährt!

    Auswertung der Wahl 2015 von Paul Tiefenbach. Unsere These: das Wahlrecht hat sich bewährt.

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