Als bei der Bürgerschaftswahl 2015 die Wahlbeteiligung circa fünf Prozent niedriger ausfiel als 2011 war die Aufregung groß: das komplizierte Wahlrecht sei schuld. Es wurde ein Parlamentsausschuss eingesetzt, in dem es um die Erhöhung der Wahlbeteiligung geht. Expertenanhörungen ergaben aber bald, dass das Wahlrecht, wenn überhaupt, nur eine geringe Rolle spielt. Nichtsdestotrotz beschlossen SPD, Grüne und Die Linke, das Wahlrecht einem entscheidenden Punkt zu ändern: die Mandatszuteilung soll zukünftig zunächst nach Personenstimmen und erst im zweiten Schritt nach Listenstimmen erfolgen. Was auf den ersten Blick positiv erscheint, hätte fatale Auswirkungen: da die Vorderen der Liste in aller Regel auch die meisten Personenstimmen einsammeln, würden sie dank ihrer Personenstimmen ein Mandat erhalten. Danach würden dann die in der Mitte der Liste platzierten Kandidatinnen und Kandidaten über die Listenstimmen ihr Mandat erhalten. Wer hinten auf der Liste steht, hätte kaum noch eine Chance und anders als zurzeit auch keine Motivation mehr, aktiven Straßenwahlkampf zu machen. Also eine Maßnahme, die die Wahlbeteiligung eher senkt. Trotzdem hat sich bislang nur die FDP klar dagegen ausgesprochen, die CDU hat sich noch nicht festgelegt. SPD/Grüne/Linke sind dagegen fest entschlossen, die Änderung zu machen. Der Grund ist offensichtlich: während bei der Bürgerschaftswahl 2015 jeder vierte Bürgerschaftsabgeordnete von einem hinteren Listenplatz hochgewählt wurde, weil er oder sie viele Personenstimmen erhalten hat, wäre es künftig nur noch jeder zehnte. Es gäbe also weniger potentielle Abweichler in den Fraktionen. Eine Änderung, die Mehr Demokratie klar ablehnt.
Wahlbeteiligung erhöhen - aber wie?
Andere Themen des Ausschusses sind aber durchaus überlegenswert. So hat sich der Ausschuss, einem Vorschlag der Bertelsmann-Stiftung folgend, mit der Frage befasst, ob jedem Wähler und jeder Wählerin bereits mit der Wahlbenachrichtigung Briefwahlunterlagen zugeschickt werden sollen. Wähler müssten also nicht mehr ins Wahllokal gehen, sie könnten zu Hause in aller Ruhe den Stimmzettel ausfüllen und per Post abschicken. In der Schweiz tut dies bereits die Mehrzahl der Bevölkerung. Zweifellos, eine Vereinfachung. Trotzdem hat sich der Ausschuss letztlich dagegen entschieden. Denn der der Aufwand der Postverschickung wäre enorm. Es lässt sich nicht garantieren, dass wirklich alle Wähler ihre Unterlagen auch zeitnah erhalten. Bei größeren Familien passten die umfangreichen Stimmzettel nicht in die Briefkästen. Absehbar, dass besonders in Großwohnanlagen massenhaft Stimmzettel entwendet werden könnten. Außerdem ist recht fraglich, ob die Verschickung von Briefwahlunterlagen an alle überhaupt verfassungsgemäß wäre. Denn das Wahlgeheimnis kann nicht garantiert werden, wenn künftig Familien gemeinsam am Wohnzimmertisch ihre Stimmzettel ausfüllen.
Mehr Chancen auf Umsetzung hat dagegen ein anderer Vorschlag: in den Schulen sollen bereits eine Woche vor der Wahl Wahllokale eingerichtet werden, in denen die Bürgerinnen und Bürger Briefwahlunterlagen erhalten, sie in einer Wahlkabine ausfüllen und sofort in die Urne stecken können. Die Wahl wäre also nicht nur an einem einzigen Tag, sondern innerhalb einer ganzen Woche möglich. Für wahlberechtige Schüler, Erstwähler, sinkt die Hemmschwelle, wenn sie während er Schulzeit an einem Ort, den sie kennen, ihre Stimme abgeben können. Insbesondere dann, wenn die Wahl auch im Politikunterricht behandelt wird. Auch hier gibt es natürlich ein paar Haken. Die Politiklehrer sollen den Wahlvorgang erklären, aber nicht die Schüler dazu bringen, eine bestimmte Partei zu wählen. Und wenn ein Schüler nicht wählen will, muss das natürlich akzeptiert sein – Enthaltung ist eine legitime Möglichkeit der Abstimmung. Trotzdem unseres Erachtens ein durchaus sinnvoller Vorschlag. Wobei klar ist: Erleichterungen bei der Stimmabgabe können eine bürgernahe Politik nicht ersetzen.