Besser wählen in Niedersachsen

Im Herbst finden in Niedersachsen Landtagswahlen statt. Anlass für Mehr Demokratie, das bestehende Wahlrecht auf den Prüfstand zu stellen. Im Folgenden machen wir eine Reihe von Vorschlägen, wie das Wahlrecht verbessert werden kann. Die Vorschläge können alle auch einzeln umgesetzt werden. Die meisten unserer Vorschläge verursachen keine Mehrkosten und keine großen organisatorischen Umstellungen.

Unsere Vorschläge für Veränderungen des Landtagswahlrechts:

1. Absenkung der Fünf-Prozent-Klausel

In Niedersachsen gilt ebenso wie bei der Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Klausel. Das hat erhebliche Folgen: Ein guter Teil der abgegebenen Stimmen wird einfach aussortiert und hat auf die Zusammensetzung des Landtages keinen Einfluss mehr. Bei der letzten Landtagswahl 2017 betraf das mehr als sieben Prozent der Wählerinnen und Wähler. Sie wählten mit ihrer Zweitstimme eine Partei, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Will man die Hürde nicht ganz abschaffen, um eine mögliche Zersplitterung des Landtags zu verhindern, so sollte sie aber zumindest auf drei Prozent abgesenkt werden. 2017 wäre dann auch nur eine weitere Partei in Landtag einzogen.

2. Ersatzstimme

So wären aber immer noch fast drei Prozent der Stimmen wirkungslos geblieben, da sie für Parteien abgegeben wurden, die unter drei Prozent blieben. Das muss nicht sein: Man könnte im Wahlgesetz regeln, dass statt eines Kreuzes auch eine Zahl in den Kreis auf dem Stimmzettel geschrieben werden kann. Wer eine Kleinpartei wählen will, schreibt dann eine „1“ für diese Partei auf den Stimmzettel. Eskann aber auch noch eine andere Partei mit einer „2“ markiert werden (und bei Bedarf noch eine dritte Partei mit „3“ usw.). Für den Fall, dass die mit „1“ gekennzeichnete Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, zählt die Stimme für die mit „2“ gekennzeichnete Partei. So wird es leichter, eine Kleinpartei zu wählen, da die Gefahr, die Stimme zu „verschenken“, durch die Vergabe der Ersatzstimme an eine größere Partei abgewendet werden kann.

3. Proteststimme

Manche Wählerinnen und Wähler sind mit allen Parteien unzufrieden und wollen das gerne zum Ausdruck bringen. Sie können dann Wahlenthaltung praktizieren oder den Stimmzettel ungültig machen. In diesen Fällen wird aber bei der Auszählung nicht klar, ob schlichtes Desinteresse, Unverständnis des Wahlvorgangs oder tatsächlich Protest das Motiv für das Stimmverhalten ist.

Andere Wählerinnen und Wähler vergeben ihre Stimme an eine sogenannte Protestpartei und verhelfen dieser unter Umständen zum Einzug ins Parlament, obwohl sie die inhaltlichen Ziele der gewählten Partei nicht oder nur teilweise teilen.

In einigen Ländern gibt es daher die Möglichkeit, den Protest im Wahlvorgang direkt auszudrücken. In Portugal zum Beispiel werden völlig leer abgegebene Stimmzettel gesondert im Wahlergebnis ausgewiesen. Man geht davon aus, dass Menschen, die zur Wahlurne gehen und den Wahlvorgang durchführen, aber einen leeren Stimmzettel einwerfen, damit ihren Protest ausdrücken wollen. Eine andere Möglichkeit, die Proteststimme zu realisieren wäre, eine zusätzliche Ankreuzmöglichkeit auf dem Stimmzettel einzufügen: „Proteststimme“, „Keine Partei“ oder ähnliches.

4. Briefwahlunterlagen an alle verschicken

Um die Wahlbeteiligung zu steigern, sollte man die Stimmabgabe so einfach wie möglich machen. Wer am Wahltag verhindert oder krank ist, kann schon jetzt die Stimme per Brief abgeben. Dies muss aber beim Wahlamt in jedem Einzelfall beantragt werden. Wir schlagen vor, die Briefwahlunterlagen ohne besonderen Antrag mit der Wahlbenachrichtigung an alle Wählerinnen und Wähler zu schicken.

Sie können dann selbst entscheiden, ob sie am Wahltag ins Wahllokal gehen oder vorher die Stimme per Briefwahl abgeben wollen. In der Schweiz wird das schon lange so gehandhabt. Um Missbrauch zu verhindern, sollte bei der Rücksendung die Angabe der Personalausweisnummer verpflichtend sein. Wahlberechtigte, die keine Briefwahl machen wollen, aber am Wahltag verhindert sind, sollten ab vier Wochen vor dem Wahltermin im Rathaus oder in Gemeindeämtern wählen können.

5. Wahlalter auf 16 absenken

In Brandenburg, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg können bereits 16-jährige den Landtag mitwählen. In Niedersachsen gilt noch das Mindestalter von 18 Jahren. Wenn bereits 16-Jährige wählen können, fällt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die erste Wahl noch in die Schulzeit. Die Wahlen können dann im Politikunterricht (parteipolitisch neutral) vorbereitet werden. Schülerinnen und Schüler werden so auch an das Wählen herangeführt, wenn ihre Eltern oder ihr soziales Umfeld nicht wählen.

Untersuchungen zeigen: Wer wählen darf, aber beim ersten Mal nicht hingeht, nimmt in der Regel auch an späteren Wahlen nicht mehr teil. Vorschläge für Veränderungen am

Kommunalwahlrecht

Die oben gemachten fünf Vorschläge betreffen das Landtagswahlrecht. Aber auch für das niedersächsische Kommunalwahlrecht haben wir eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen:

1. „Integrierte Stichwahl“ bei der Bürgermeisterwahl

Wenn bei der Bürgermeisterwahl niemand mehr als fünfzig Prozent der Stimmen erreicht, muss 14 Tage später eine Stichwahl zwischen den beiden stärksten Bewerbern oder Bewerberinnen stattfinden. Das ist umständlich für die Wählerinnen und Wähler und aufwändig für die Wahlbehörden.

In der Regel ist die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl niedriger als im ersten Durchgang. Man könnte die Stichwahl vermeiden, wenn – ähnlich wie oben bei der Ersatzstimme beschrieben - statt eines Kreuzes Zahlen auf den Stimmzettel geschrieben werden könnten. Der Lieblingskandidat oder die Lieblingskandidatin würde dann eine „1“ erhalten, die Zweitpräferenz würde mit einer „2“, die Drittpräferenz mit einer „3“ usw. gekennzeichnet werden.

Ist der Lieblingskandidat oder die Lieblingskandidatin nicht unter den beiden besten, die mit „2“ gekennzeichnete Person dagegen schon, so zählt die abgegebene Stimme für die Zweitpräferenz. Auf diese Weise hätte man in einem einzigen Wahlvorgang die Stichwahl „integriert“.

2. Stärkung der Personenstimmen

Bei den Wahlen für die Stadt- und Gemeinderäte können wir bis zu drei Personen auf den Listen der Parteien direkt wählen. Doch die Wirkung dieser Personenstimmen ist gering. Denn bei der Mandatszuteilung werden zunächst die durch Personenstimmen errungenen Mandate zugeteilt. In der Regel sind das aber die gleichen Personen, die auch auf der Parteiliste ganz oben stehen und daher sowieso ein Mandat bekommen hätten.

Wir fordern, dass zunächst die Listenmandate zugeteilt werden, danach die durch Personenstimmen errungenen Mandate. Dadurch bekommen die Personenstimmen einen größeren Einfluss auf die Zusammensetzung der Räte. Kandidatinnen und Kandidaten, die auf der Liste unten stehen, haben so mehr Chancen, mit einem guten Personenstimmenergebnis ein Mandat zu erringen. Dieses Auszählverfahren gilt z.B. in Hamburg.

3. Gemeindeausschüsse

Im Herbst letzten Jahres haben SPD und CDU eine umstrittene Änderung des Kommunalverfassungsgesetzes beschlossen. Die Novelle regelt unter anderem die Verteilung der Sitze in den Fachausschüssen neu. Es wurde das sog. d´Hondtsche Höchstzahlverfahren eingeführt, das die großen Parteien bevorzugt. Wir fordern die Rückkehr zu einem neutralen Verfahren wie Sainte Laguë oder Hare/Niemeyer, das nicht zu einer systematischen Verzerrung zugunsten oder zulasten bestimmter Parteien führt.

4. Sonderregelungen bei epidemischer Lage

Im März 2022 hat der Landtag beschlossen, dass bei epidemischen Lagen ein Gemeinderat mit 4/5 – Mehrheit entscheiden kann, Beschlüsse statt in einer Versammlung im schriftlichen Umlaufverfahren zu fassen. Es wurde aber auch die Möglichkeit geschaffen, Versammlungen per Videokonferenz durchzuführen. Vor diesem Hintergrund sollte eine Beschlussfassung ohne öffentliche Diskussion per Umlaufverfahren die absolute Ausnahme bleiben und nur bei Einstimmigkeit im Rat durchgeführt werden.

5. Experimentierklausel ins Kommunalwahlrecht

Das Kommunalwahlrecht sollte den Kommunen die Möglichkeit geben, einzelne Reformen des Wahlrechts zeitlich befristet zu Erprobungszwecken einzuführen. So könnten Kommunen beispielsweise ausprobieren, ob sich die Wahlbeteiligung erhöht, wenn Wahlurnen auch in Einkaufszentren aufgestellt werden. Es könnte getestet werden, ob die Wählerinnen und Wähler mit dem „Durchnummerieren“, wie oben für die Ersatzstimme und die Bürgermeisterwahl vorgeschlagen, zurechtkommen. Ebenso könnte ausprobiert werden, ob die Wahlaltersenkung auf 16 Jahre von den Jugendlichen angenommen wird und ob vielleicht sogar eine weitere Senkung auf 14 Jahre möglich ist.

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