Bürgerbegehren: Themenausschluss bremst Demokratie

[18/21] Diesmal im Wangerland: Wieder ist ein Bürgerbegehren gescheitert – wegen eines strukturellen Problems, sagt Mehr-Demokratie-Landessprecher Schumacher. Nun will der Landtag das Problem noch verschärfen. Das schadet der direkten Demokratie massiv.

Das Bürgerbegehren zum Speicherpolder in Horumersiel ist unzulässig, das hat der Verwaltungsausschuss des Wangerlander Gemeinderats festgestellt. Was wie ein allenfalls lokal brisantes Politikum klingt, ist in Wirklichkeit Ausdruck eines strukturellen Problems. "Das ist ein weiteres Kapitel aus der Sammlung `Paragrafen ersticken direkte Demokratie`. Das niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz schließt einfach viel zu viele Themen vom Bürgerbegehren aus", analysiert Dirk Schumacher, niedersächsischer Landessprecher des Fachverbands Mehr Demokratie e.V.

Das gelte insbesondere für "Bürgerbegehren über... die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen und sonstigen Satzungen nach dem Baugesetzbuch (BauGB)", zitiert Schumacher aus dem sperrigen Gesetzestext. Also dürfe auch dieses Bürgerbegehren nicht stattfinden. Schließlich soll es den Verkauf des Areals "zum Zweck der Bebauung" verhindern.


Wenig Themenausschlüsse, lebendige Demokratie
Niedersachsen zählt zur Minderheit von nur sechs Bundesländern, in denen Bürgerbegehren zur Bauleitplanung derzeit noch komplett unzulässig sind. In Bayern schaut es anders aus: Dort fällt jedes fünfte Verfahren in diesen Bereich. „Das zeigt den Stellenwert, den solche Themen für die Bürgerinnen und Bürger haben“, betont Schumacher.

Es sei ganz einfach, betont Schumacher: "Wo wenig Themen ausgeschlossen und die Hürden niedrig sind und es deshalb gute Chancen gibt, mit einem Bürgerbegehren erfolgreich zu sein, da blüht die direkte Demokratie. Siehe Bayern mit seinem kleinen Negativkatalog! Wo dies nicht der Fall ist, da dümpelt sie vor sich hin. So wie bei uns." Niedersachsen belegt im aktuellen Ranking von Mehr Demokratie einen der hintersten Plätze. Bayern ist auch hier deutscher Meister.


Landtag will noch mehr Themenausschlüsse
Laut der Mehr-Demokratie-Datenbank muss in Niedersachsen ziemlich genau jedes zehnte gestartete Bürgerbegehren wegen eines Themenausschlusses gestoppt werden. Noch höher sei die Zahl der potenziellen Bürgerbegehren, die erst gar nicht angestoßen werden, weil ein Themenausschluss das verhindert. „Ich berate Bürgerinnen und Bürger und muss zu oft sagen: Nee, Leute, hier greift ein Themenausschluss.“ Für Schumacher ist klar: Paragraf 32 des Kommunalverfassungsgesetzes muss gründlich entrümpelt werden.

Der Landtag könnte in einem ersten Schritt die Liste der Themenausschüsse  drastisch zusammenstreichen, regt Schumacher an. „Die Bürgerinnen und Bürger sind schließlich nicht nur dazu da, alle paar Jahre die Parteienherrschaft abzusegnen." Doch statt  weniger stünden weitere Themenausschlüsse auf der Agenda: Künftig dürfen die Bürgerinnen und Bürger auch nicht über Krankenhausstandorte und Rettungsdienste entscheiden. „Das will der Landtag Mitte Oktober beschließen“, ärgert sich Schumacher. „Die Richtung stimmt einfach nicht.“

HINTERGRUND:
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