Demokratieabbau morgen Thema im Innenausschuss

[16/10] Weniger Demokratie durch Abschaffung der Stichwahlen und schlechte Bürgerentscheids-Bedingungen

Bremen/Hannover. Am morgigen Mittwoch findet im Innenausschuss des niedersächsischen Landtages eine Anhörung zum geplanten Kommunalverfassungsgesetz statt. In dem geplanten Gesetz sind auch inhaltliche Änderungen bei den demokratischen Rechten der Bürgerinnen und Bürger vorgesehen. Am Schwersten wiegt die beabsichtigte Abschaffung der Stichwahlen bei Bürgermeistern und Landräten. Bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden wird auf überfällige Reformen verzichtet, einige Bestimmungen werden gestrichen.

 

Fehlende Stichwahlen führen zu Minderheits-Bürgermeistern

In seiner heute veröffentlichten Stellungnahme kritisiert der Verein Mehr Demokratie die von der Landesregierung vorgebrachten Argumente zur Abschaffung der Stichwahl. Diese seien teilweise widersprüchlich und empirisch unbegründet. Auch die fehlende Prüfung von Alternativen zur Stichwahl wird in der Stellungnahme bemängelt. Mehr Demokratie schlägt die Einführung eines Präferenzwahlsystems vor. Es sieht vor, dass die Wähler die Kandidaten entsprechend ihrer persönlichen Rangfolge durchnummerieren. Dieses Wahlrecht wird unter anderem in Irland und Australien angewendet. Damit könne auf einen zweiten Wahlgang verzichtet werden, ohne dass die Legitimation leidet. Wahlrechtsexperte Wilko Zicht von wahlrecht.de unterstützt die Forderung: „Die Abschaffung der Stichwahl führt zu Minderheits-Bürgermeistern. Das baut Legitimation unnötig ab. Wenn es der Regierung um Aufwand und Kosten geht, sollte sie über Alternativen wie z.B. die Präferenzwahl nachdenken.“

 

Tim Weber, Sprecher von Mehr Demokratie e.V., Landesverband Niedersachsen, ergänzt: „Die Landesregierung argumentiert unglaublich dünn. Der politische Wille scheint eine ungleich stärkere Rolle zu spielen als sachliche Erwägungen.“ Nach Angaben von Mehr Demokratie trat bei den letzten Kommunalwahlen 26-mal der Fall ein, dass der Erstplatzierte im ersten Wahlgang bei der Stichwahl unterlag. Diese Kandidaten wären ohne Stichwahl Bürgermeister oder Landrat, obwohl sie nicht die Mehrheit der Wählenden hinter sich vereinigen konnten. In der Stadt Achim hätte das dazu geführt, dass der Erstplatzierte im ersten Wahlgang mit 19,5 Prozent der Wahlberechtigten Bürgermeister geworden wäre, obwohl im zweiten Wahlgang der jetzige Bürgermeister 28,7 Prozent der Wahlberechtigten überzeugen konnte.

 

Nach der Amtszeit-Verlängerung von fünf auf acht Jahre folgt nun mit der Abschaffung der Stichwahl weiterer Demokratie-Abbau. Die Landesregierung begründet ihre Pläne mit dem Rückgang der Wahlbeteiligung durch die Entkoppelung der Direktwahlen von den allgemeinen Kommunalwahlen. Die Legitimationsprobleme, die sie bei den Stichwahlen anführt, sieht die Regierung hier nicht. Versuche anderer Bundesländer, die Stichwahl abzuschaffen, hatten einen schweren Stand: In Nordrhein-Westfalen soll die 2007 abgeschaffte Stichwahl wieder eingeführt werden, in Thüringen geschah das bereits in diesem Frühjahr.

 

Niedrige Beteiligung bei Bürgerentscheiden ist für die Landesregierung kein Problem

Nach Vorstellungen der Landesregierung soll die Ermächtigung zum Erlass einer landesweiten Durchführungsverordnung für Bürgerentscheide gestrichen werden. Mehr Demokratie hält dagegen den Erlass einer solchen Verordnung für zwingend. Diese stelle sicher, dass Bürgerentscheide zukünftig genauso wie Wahlen durchgeführt werden. Faire Bedingungen für die lokalen Abstimmungen rücken durch das Vorhaben der Landesregierung in weite Ferne. Bei Bürgerentscheiden ist es häufig Praxis, weder Benachrichtigungen zu verschicken noch die Briefabstimmung zu ermöglichen. Durch diese unzureichenden Bedingungen sinkt die durchschnittliche Beteiligung bei Bürgerentscheiden. In Niedersachsen liegt sie im Vergleich zu anderen Ländern zehn Prozentpunkte niedriger. Mehr Demokratie erkennt darin einen Widerspruch: Einerseits sorge sich die Landesregierung um die Beteiligung bei Direktwahlen und will deshalb Stichwahlen abschaffen, andererseits kümmere sie sich nicht um höhere Beteiligungen bei Bürgerentscheiden. Tim Weber: „Das ist CDU-Demokratie, die Beteiligung der Menschen verhindert“.

 

Darüber hinaus fordert der Verein bei Bürgerbegehren die Einführung einer aufschiebenden Wirkung. Die Regierungspläne sehen die Abschaffung des missbilligenden Bürgerbegehrens vor, das in Niedersachsen anstelle der aufschiebenden Wirkung eingeführt wurde. Gegenwärtig kann eine Gemeinde trotz eines laufenden Bürgerbegehrens Fakten schaffen, die dem Begehren entgegenstehen.

 

Mehr Demokratie e.V. ist ein Fachverband für direkte Demokratie in Deutschland. Der seit 1988 bestehende Verein hat bundesweit 5600 Mitglieder und hat bereits mehrfach demokratische Reformen angestoßen. Den Landesverband Bremen-Niedersachsen gibt es seit 1997. Im Jahr 2006 führte dieser das Volksbegehren zur Reform Wahlrechts im Land Bremen durch. In Niedersachsen berät der Verein Initiativen, die ein Bürgerbegehren starten wollen.