Erster bundesweiter Bürgerbegehrensbericht: Seit den 1990ern steigt die Zahl der Verfahren

[08/08] Immer mehr Bürger wollen in Sachfragen mitreden

Großer Reformbedarf in Niedersachsen

Hannover/Berlin.

Mehr Demokratie hat heute parallel in sechs Städten den ersten bundesweiten Bürgerbegehrens-Bericht vorgestellt. Gemeinsam mit der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie (Universität Marburg) hat der Verein die Bürgerbegehren und –entscheide analysiert, die seit der Einführung im ersten Bundesland (Baden-Württemberg) 1956 stattgefunden haben. Insgesamt wurden über 4.500 direktdemokratische Verfahren gezählt.

 

In knapp 40 Prozent aller Fälle konnten die Initiatoren mit Hilfe direktdemokratischer Instrumente ihre Anliegen durchsetzen. Andererseits haben Gemeinderäte oder -verwaltungen ungefähr ein Viertel aller Verfahren für unzulässig erklärt. Schuld daran sind die immer noch restriktiven Regelungen in vielen Bundesländern, die bestimmte Themen aussschließen oder einen Kostendeckungsvorschlag fordern.

 

Insgesamt zeigt der Bericht, dass der Bedarf an Mitbestimmung wächst. In einem Fünftel aller deutschen Kommunen haben Bürgerinnen und Bürger bereits mindestens einmal direktdemokratisch über eine Sachfrage abgestimmt. Besonders häufig wird die Bevölkerung in den größeren Städten Bayerns befragt. Aber auch in Hamburger Stadtteilen und in Dresden gab es zahlreiche Bürgerbegehren. Wenn es ein Begehren bis zur Abstimmung schafft, beteiligen sich durchschnittlich über die Hälfte aller Wahlberechtigten – und damit mehr als bei so mancher Bürgermeisterwahl.

 

"Was die Mitbestimmungsmöglichkeiten angeht, liegen Welten zwischen den einzelnen Bundesländern", erklärt Gerald Häfner, Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie. Insgesamt wurden 3.721 Bürgerbegehren gezählt, wobei Spitzenreiter mit knapp 1.500 Bürgerbegehren und 968 Bürgerentscheiden das Bundesland Bayern ist. Niedersachsen hinkt mit 170 Bürgerbegehren und 57 Bürgerentscheiden weit hinterher. Tim Weber vom Landesverband Bremen-Niedersachsen verweist auf die schlechten Regelungen in Niedersachsen.

 

So sind viele Themen von vorne herein ausgeschlossen, z.B. Bauleitpläne und viele Großprojekte. Außerdem scheitern viele Bürgerbegehren am Kostendeckungsvorschlag. Das führt insgesamt zu einer hohen Anzahl an unzulässigen Bürgerbegehren. Wurden bundesweit 28 Prozent der Bürgerbegehren als unzulässig zurückgewiesen, waren es in Niedersachsen über 44 Prozent aller Begehren. Das Unterschriftenquorum mit einheitlichen 10 Prozent ist gerade für größere Städte zu hoch. "Wenn ein Bürgerbegehren diese Hürde schafft, warten weitere Stolpersteine beim Bürgerentscheid", so Tim Weber. Das Zustimmungsquorum mit einheitlichen 25 Prozent ist zu hoch. Demnach reicht keine Mehrheit der Abstimmenden, sondern diese Mehrheit muss gleichzeitig 25 Prozent aller Wahlberechtigten ausmachen. Auch hier weicht Niedersachsen deutlich vom Bundestrend ab. Deutschlandweit scheitern 13 Prozent aller Initiativen an geltenden Zustimmungsquoren, während in Niedersachsen 34,5 Prozent aller Bürgerentscheide über diese Hürde stolpern. Gerade bei hohen Quoren werden Diskussionsboykotte begünstigt. Die Erfahrung zeigt außerdem, dass viele Bürgerentscheide unter erschwerten Bedingungen stattfinden, da keine Benachrichtigungen verschickt werden, Briefabstimmung nicht zugelassen wird oder zu wenige Abstimmungslokale zur Verfügung stehen.

 

Der Verein Mehr Demokratie schlägt daher eine umfassende Reform der Regelungen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Niedersachsen vor.

Mehr zulässige Themen wie Bauleitpläne und Planverfahren: z.B. Biogasanlage oder Einkaufszentren

Weniger Unterschriften beim Bürgerbegehren

Grundsatz "Mehrheit entscheidet" beim Bürgerentscheid oder deutliche Senkung des Zustimmungsquorums

Beratungsrecht: Die Initiatoren eines Bürgerbegehrens werden von der Gemeinde beraten

Die Anforderungen an einem Kostendeckungsvorschlag ist wie in Bayern zu streichen oder zumindest deutlich abzuschwächen

Aufschiebende Wirkung eines Bürgerbegehrens

Fairnessklausel: Bei Veröffentlichungen und Veranstaltungen der Gemeinde müssen beide Seiten gleichberechtigt zu Wort kommen

Bürgerentscheide müssen unter gleichen Bedingungen wie Wahlen stattfinden

 

Hinweis für die Redaktionen: Weitere Zahlen und Fakten entnehmen Sie bitte der beiliegenden Presse-Information oder unserer Internetseite unter:

bremen-nds.mehr-demokratie.de/bericht-nds.html