Halbjahresbilanz Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

[27/08] Sind 2008 keine weiteren Bürgerentscheide zu erwarten?

Bremen. Nach Ablauf des ersten Halbjahres 2008 zieht der Verein Mehr Demokratie Bilanz für die direkte Demokratie in Niedersachsen. Der Verein zählte fünf in diesem Jahr gestartete Bürgerbegehren. Es gab fünf weitere Verfahren, die bereits im Jahre 2007 begonnen wurden und 2008 zum Abschluß kamen. Themenschwerpunkte der Initiativen waren der Umgang mit Brachflächen (Hanstedt und Radbruch) und die Investitionspläne von Gemeinden (Vienenburg und Alfeld). Ein im Mai in Heinsen gestartetes Begehren will eine Abstimmung über eine Gemeindefusion erreichen. Nur zweimal fand ein Bürgerentscheid statt. In beiden Fällen gab es überwältigende Mehrheiten für das Bürgerbegehren. Während die Abstimmung in Hanstedt (Landschaftsschutz) alle Hürden meisterte, war der Bürgerentscheid in Holzminden (Privatisierung) ein knappes Opfer des Zustimmungsquorums von 25 Prozent. Ein Bürgerbegehren in Alfeld war unzulässig und scheiterte auch vor dem Verwaltungsgericht, bei zwei weiteren Begehren (Radbruch und Heinsen) ist der Ausgang noch offen. "Beim gegenwärtigen Stand ist 2008 mit keinem weiteren Bürgerentscheid zu rechnen", prognostiziert Tim Weber vom Verein Mehr Demokratie.

 

Vergleicht man die direktdemokratische Praxis mit der in anderen Flächenländern, gehört Niedersachsen eindeutig zur Abstiegszone. So wurden nur in vier Ländern weniger Initiativen gestartet als in Niedersachsen (Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland). Bei den relativen Zahlen, die auch die Praxisjahre und die Zahl der Gemeinden berücksichtigt, sieht es ähnlich aus. Baden-Württemberg hat gegenwärtig noch schlechtere Zahlen, ist aber durch die Reform 2005 auf Aufholjagd. Schaut man sich die Anzahl aller Initiativen Niedersachsens seit Einführung des Instruments im Jahre 1996 an, wird dies ebenfalls deutlich. Insgesamt zählt der Verein 175 Bürgerbegehren und 59 Bürgerentscheide in Niedersachsen. Allein in Bayern fanden im vergleichbaren Zeitraum knapp 1800 direktdemokratische Verfahren statt.

 

Der Verein Mehr Demokratie führt die geringe Nutzung vor allem auf schlechte Regelungen zurück. Es gibt einen sehr weiten Negativkatalog, der viele wichtige Themen mit einem Demokratieverbot belegt. So sind in anderen Bundesländern Bürgerbegehren zur Bauleitplanung zulässig, in Niedersachsen ist das ausgeschlossen. Ein weiterer Grund für das Scheitern vieler Bürgerbegehren in Niedersachsen sind die restriktiven Anforderungen an den Kostendeckungsvorschlag. Insgesamt wurden über 44 Prozent aller Begehren als unzulässig zurückgewiesen (bundesweit: 28 Prozent). Des Weiteren kritisiert der Verein, dass bei Bürgerentscheiden oftmals nicht die gleichen Bedingungen gelten wie bei Wahlen. "Insgesamt wird es den Bürgern wirklich schwer gemacht mitzuentscheiden. Niedersachsen ist ein direktdemokratisches Entwicklungsland", kritisiert Tim Weber.

 

Gespannt blickt der Landesverband ins Nachbarland Thüringen, wo sich ein von Mehr Demokratie mitinitiiertes Volksbegehren zur Reform der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in der Endphase befindet. "Thüringen wird uns bald überholen. Und solange sich die CDU im Niedersächsischen Landtag einer Reform verweigert, wird es mit der Mitbestimmung in Niedersachsen genauso trostlos weitergehen", so Weber.