Im Jahr 2022 wurden in Niedersachsen deutlich weniger neue Bürgerbegehren gestartet als in den Jahren zuvor. So gab es nur sechs neue Bürgerbegehren, es fanden fünf Bürgerentscheide statt. Das ist die Bilanz, die der Fachverband Mehr Demokratie zieht. Die Zahl der Bürgerbegehren sank somit seit dem Rekordjahr 2020 (40 Bürgerbegehren) um 85 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 wurden zwanzig Bürgerbegehren gestartet. „Diese Schwankungen sind normal, das gibt es immer wieder“, zeigt sich Dirk Schumacher, Landessprecher von Mehr Demokratie entspannt. „2023 ist ein neues Jahr.“
Wieviele Bürgerbegehren es gebe, hänge letzten Endes einfach von der Menge kommunalpolitischer Themen ab, die vor Ort strittig sind und sich für ein Bürgerbegehren eignen, so Schumacher. Auch die gesetzlichen Grundlagen hätten einen Einfluss auf die Zahl der Bürgerbegehren.
Bürgerbegehren: Oft ging es um Sozial- und Bildungseinrichtungen
Der inhaltliche Schwerpunkt im Jahr 2022 lag bei öffentlichen Sozial- und Bildungseinrichtungen (vier Begehren), zweimal ging es um Wirtschaftsprojekte. Klima- und verkehrspolitische Bürgerbegehren wurden im Gegensatz zu den Vorjahren in Niedersachsen gar nicht gestartet.
Ein Bürgerbegehren erfolgreich, drei laufen noch
Von den sechs gestarteten Bürgerbegehren sind drei beendet:. In zwei Fällen wurden Bürgerbegehren für unzulässig erklärt, ein weiteres Mal entsprach der Rat den Forderungen des Bürgerbegehrens. Zwei der drei noch laufenden Bürgerbegehren haben jüngst erst mit der Unterschriftensammlung begonnen, im dritten Fall wurden die Unterschriften Anfang Februar eingereicht. Sie werden nun überprüft. „Das sind drei potentielle Bürgerentscheide“ erklärt Schumacher.
Bürgerentscheide: Zwei erfolgreich, drei mal überwog das Nein
Die fünf Bürgerentscheide im Jahr 2022 resultieren allesamt aus Bürgerbegehren, die im Jahr 2021 gestartet wurden. Diese Zahl liegt eher im langjährigen Mittel. Von den fünf Bürgerentscheiden endeten zwei im Sinne der Bürgerbegehren jeweils mit sehr deutlicher Mehrheit, in drei Fällen überwogen die Nein-Stimmen. „Immerhin ist kein einziges Bürgerbegehren am Zustimmungsquorum gescheitert, das hatten wir zuletzt 2016/2017“ zeigt sich Schumacher erfreut. Es war also nirgends der Fall, dass eine Mehrheit mit Ja stimmte, die Zahl der Ja-Stimmen aber nicht ausreichte. Thematisch ging es um öffentlichen Sozial- und Bildungseinrichtungen (1), öffentliche Infrastruktur- und Versorgungsprojekte (2) sowie um Wirtschafts- bzw. Verkehrsprojekte (je 1).
Ratsentscheid gegen Bürgerentscheid
Ein Sonderfall ist der im November vom Kreistag beschlossene Ratsentscheid im Landkreis Grafschaft Bentheim. Hier wollte der Kreistag die 2021 per Bürgerentscheid beschlossene Sanierung einer Eislaufhalle abwenden, in dem er einen erneuten Bürgerentscheid, diesmal von oben, beschloss. Das geschah im November und aus finanziellen Gründen. Der Rat befürchtete eine Kostenexplosion.„Das ist durchaus plausibel und nicht skandalös“; betont Schumacher.
Der Hintergrund: Nach einem erfolgreichen Bürgerentscheid kann ein Stadtrat erst nach einer Frist von zwei Jahren einen neuen Beschluss zum selben Thema fassen. Der Bürgerentscheid kann aber durch einen anderen Bürgerentscheid (hier: einen Ratsentscheid) aufgehoben werden,
Bis heute wurde allerdings noch kein Abstimmungstermin festgelegt. Zunächst gab es rechtliche Fragen, nun ist ein Investor aufgetaucht. Es ist offen, ob die Abstimmung noch stattfindet. Diese sogenannten Ratsentscheide zur Änderung eines vorangegangenen Bürgerentscheides gab es in Niedersachsen bislang nur dreimal.
Bessere Regeln für mehr direktdemokratische Praxis
Schumacher sieht weiterhin großen Reformbedarf. Die Hürden bei Unterschriftensammlung und Abstimmung müssten runter, die Themenausschlüsse deutlich reduziert werden. Insgesamt müsse das Verfahren bürgerfreundlicher werden. Die Kommunen müssen dazu verpflichtet werden, vor Bürgerentscheiden ein Abstimmungsheft mit Pro- und Contra-Argumenten an alle Abstimmungsberechtigten zu verschicken. Durch diese Vereinfachungen stiegen die Chancen, dass Menschen auf kommunaler Ebene tatsächlich an Entscheidungen mitwirken können. „Dann würde die direktdemokratische Praxis auch bei uns erblühen“, ist Schumacher überzeugt.
Hintergrund: Bürgerbegehren in Niedersachsen
Seit Einführung im Jahr 1996 wurden in Niedersachsens Kommunen 445 Bürgerbegehren gestartet, vier Ratsferenden wurden initiiert. 139 mal mündeten sie in einen Bürgerentscheid. 65 mal endete ein Bürgerentscheid im Sinne der Initiatorinnen und Initiatoren. Die Zahl der jährlich gestarteten Bürgerbegehren schwankt in Niedersachsen zwischen einem und 40.
Bei einem Bürgerbegehren geht es um eine konkrete kommunalpolitische Fragestellung, wobei in Niedersachsen viele Themen qua Gesetz für tabu erklärt werden. Die Initiatorinnen und Inititatoren zeigen das Bürgerbegehren bei der Kommune an und sammeln Unterstützerunterschriften in einem begrenzten Zeitraum.
Finden sich hinreichend viele Unterstützerinnen und Unterstützer, dann gibt es zwei Optionen: Entweder übernimmt die Kommunalvertretung, zum Beispiel der Stadtrat, die Forderungen des Bürgerbegehrens. Oder es kommt zu einem Bürgerentscheid. Er hat die selbe Wirkmacht wie ein Ratsbeschluss.
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