Mehr Demokratie: In Bremen wird’s noch besser laufen

[06/11] Stellungnahme zur Hamburg-Wahl

Bremen. Nachdem nun alle Ergebnisse der Hamburger Bürgerschaftswahl vorliegen, zieht der Bremer Landesverband von Mehr Demokratie ein positives Fazit. Wir Bremer können uns alle auf das neue Wahlrecht freuen, mit dem wir am 22. Mai erstmals selbst bestimmen können, welche Personen uns in der Bürgerschaft, in der Stadtverordnetenversammlung und in den Beiräten vertreten sollen.

 

In den letzten Tagen wurden einige Behauptungen über die Hamburg-Wahl und das dortige Wahlrecht aufgestellt, die einer näheren Überprüfung nicht standhalten.

 

Behauptung: „Nur ein Bruchteil der Hamburger Bevölkerung hat die Möglichkeiten des neuen Wahlrechts genutzt.“

Laut einer Nachwahlbefragung von Infratest dimap haben 86 Prozent der Wähler nur eine Partei gewählt, 12 Prozent haben zwei Parteien gewählt, 3 Prozent haben mehr als zwei Parteien gewählt. Dieses sog. Panaschieren ist aber nur eine von mehreren Möglichkeiten, die das neue Wahlrecht erstmals bietet. Die wichtigste Neuerung besteht darin, nicht mehr nur Parteien wählen zu können, sondern sich gezielt die gewünschten Kandidatinnen und Kandidaten auszusuchen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis sind 47 Prozent aller Stimmen direkt an Kandidaten auf den Landeslisten vergeben worden, mit 53 Prozent der Stimmen wurden Landeslisten ihrer Gesamtheit gewählt. Da die Wähler mit ihren fünf Stimmen Personenwahl und Listenwahl kombinieren konnten und auch mit reinen Listenstimmen panaschieren konnten, wird der Anteil der Wähler, die die neuen Möglichkeiten genutzt haben, bei über 50 Prozent gelegen haben.

 

Mit den Personenstimmen haben die Wähler 23 der 121 Sitze (19 Prozent) in der neuen Hamburgischen Bürgerschaft anders besetzt, als es sich bei geschlossenen Listen ergeben hätte.

 

Behauptung: „Das neue Wahlrecht hat zu einem Absturz der Wahlbeteiligung geführt.“

Die Wahlbeteiligung ist gegenüber der Bürgerschaftswahl 2008 von 63,5 Prozent auf 57,8 Prozent zurückgegangen. Dies entspricht leider dem allgemeinen Trend in Deutschland. Nichts spricht dafür, dass dieser Rückgang durch das neue Wahlrecht verursacht wurde. In Baden-Württemberg war die Wahlbeteiligung bei der letzten Landtagswahl beispielsweise um 9,3 Prozentpunkte zurückgegangen, in Berlin um 10,1 Prozentpunkte, in Niedersachsen um 9,9 Prozentpunkte, und in Sachsen-Anhalt gar um 12,1 Prozentpunkte – alles ohne Wahlrechtsänderung.

 

Mit einer Wahlbeteiligung von 57,8 Prozent liegt Hamburg im Ländervergleich im Mittelfeld, genau gesagt auf Platz 10, wobei zwei Bundesländer ihre höhere Wahlbeteiligung dem gemeinsamen Wahltag mit der Bundestagswahl verdanken. Bei der Bundestagswahl 2009 lag das Bundesland Hamburg in Sachen Wahlbeteiligung auf Platz 9.

 

Behauptung: „Die hohe Zahl der ungültigen Stimmen beweist, dass das Hamburger Wahlrecht zu kompliziert ist.“

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis sind 3,1 Prozent aller Landeslisten-Stimmzettel bei der Hamburg-Wahl ungültig. Gegenüber der Bürgerschaftswahl 2008, bei der Kumulieren und Panaschieren nur auf den Wahlkreislisten möglich war, ist das ein Rückgang um 0,3 Prozentpunkte. Auch im Vergleich zu den jüngsten Kommunalwahlen in Bundesländern, die teilweise bereits seit Jahrzehnten kumulieren und panaschieren, stehen die Hamburger recht gut da:

 

Baden-Württemberg 2009: 3,5 Prozent

Bayern 2008: 3,8 Prozent

Brandenburg 2008: 5,0 Prozent

Hessen 2006: 5,2 Prozent

Mecklenburg-Vorpommern 2009: 3,0 Prozent

Niedersachsen 2006: 2,4 Prozent

Rheinland-Pfalz 2009: 3,6 Prozent

Sachsen 2009: 3,0 Prozent

Sachsen-Anhalt 2004: 5,3 Prozent

Thüringen 2009: 4,2 Prozent

 

Laut einer Nachwahlbefragung von Infratest dimap sagten 51 Prozent der Hamburger, sie seien mit dem neuen Wahlrecht vertraut. Der Anteil der Deutschen, die beim seit über fünfzig Jahre geltenden Bundestagswahlrecht den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme kennen, liegt laut Umfragen deutlich niedriger. Hinzu kommt, dass das Hamburger Wahlrecht erheblich komplexer ist als das neue Bremer Wahlrecht. Weil es in Bremen keine Wahlkreise gibt, werden die Bremer am 22. Mai nur halb so viele Stimmzettel zu bewältigen und nur halb so viele Stimmen zu vergeben haben wie die Hamburger am vergangenen Wochenende.

 

Behauptung: „Wer oben rechts auf dem Stimmzettel steht, ist schon so gut wie gewählt.“

Bei der Hamburg-Wahl konnten sich die Kandidaten auf Platz 31 der Landesliste durch überdurchschnittlich viele Personenstimmen nach vorne arbeiten: Bei der CDU auf Platz 4, bei der SPD auf Platz 6 und bei den Grünen auf Platz 5. Eine nicht unerhebliche Rolle scheint dabei gespielt zu haben, dass diese Kandidaten in der oberen rechte Ecke des Stimmzettels aufgeführt waren. Wegen des misslungenen Stimmzettel-Layouts, das der kurzen Vorbereitungszeit für die vorgezogene Neuwahl in Hamburg geschuldet sein dürfte, dachten wohl einige Wähler, sie würden die Gesamtliste und nicht den Kandidaten auf Platz 31 ankreuzen.

 

Derartige Effekte sind in Bremen nicht zu erwarten. Das Aussehen der Stimmzettelhefte wurde hier viele Monate lang intensiv diskutiert. Sie sind deutlich anders aufgebaut als die Hamburger Stimmzettel (Quer- statt Längsformat, zwei- statt einspaltig) und werden in einer viel größeren Schrift gedruckt werden.

 

Fazit: Anders als von interessierter Seite behauptet, hat sich das neue Hamburger Wahlrecht bereits bei seiner ersten Bewährungsprobe gut geschlagen – und in Bremen wird es voraussichtlich besser laufen! Ohnehin ist das neue Wahlrecht eine strukturelle Änderung, die viele ihrer Effekte erst mittel- und langfristig voll entfalten wird, zum Beispiel was den Bekanntheitsgrad der Kandidaten angeht.