Der Verein Mehr Demokratie begrüßt die jüngste Debatte darüber, den Bürgerinnen und Bürgern das letzte Wort beim Bau des VfB-Stadions zu lassen. „Bei solchen Millionenprojekten sollten die Menschen einer Stadt die Möglichkeit haben, zu entscheiden“, so Dirk Schumacher, niedersächsischer Landessprecher des Fachverbandes. Nach bisherigem Stand wären ein Bürgerbegehren oder ein Ratsbürgerentscheid über die Stadionfrage selbst nicht möglich. Denn es wurde bereits ein Ratsbeschluss zur Bauleitplanung gefasst, weswegen ein Bürgerentscheid dazu ausgeschlossen ist.
Wäre eine Abstimmung über die Finanzierung rechtlich okay? Dies hatte der ehemalige Ratsherr Sebastian Beer gegenüber der Nordwest-Zeitung angeregt. Schumacher: „Wir denken, dass das geht. Denn der Bebauungsplan wird nicht davon berührt, ob sich die Stadt an der Finanzierung beteiligt oder nicht.“ Schumacher verweist auf die Stadt Goslar, wo im April ein Bürgerentscheid über die finanzielle Beteiligung der Stadt am Umbau des Kaiserpfalzquartiers stattfindet. Auch dort hat es bereits Planungsbeschlüsse gegeben, so dass eine Abstimmung über die Grundsatzfrage nicht mehr möglich war –über die Kostenfrage aber schon. „Bürgerbegehren oder Ratsentscheid über die Finanzierung des Stadionbaus: beides wäre möglich“, so Schumacher, der seit vielen Jahren Initiativen berät, die ein Bürgerbegehren starten wollen. Er verweist aber auch darauf, dass vor einem Bürgerbegehren natürlich eine gründliche rechtliche Prüfung stehe.
Mit einem Bürgerbegehren erreichen Bürgerinnen und Bürger per Unterschriftensammlung einen Bürgerentscheid, bei einem Ratsbürgerentscheid beschließt eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Stadtrates, einen Bürgerentscheid stattfinden zu lassen.
Einfacher wäre wohl eine Einwohnerbefragung, schwant Schumacher. Dafür reiche auch die einfache Ratsmehrheit – die sich öffentlich dazu bekennen könnte, das Votum der Menschen ernst zu nehmen. „In welcher Form auch immer – die Menschen in dieser Frage mitzunehmen, wäre wichtig“, ergänzt der Bürgerbegehrens-Experte.
Vorbilder: Braunschweig und Freiburg
Es gibt historische Vorbilder für beide Vorgehen: In Braunschweig sagten die Menschen 2011 in einer Bürgerbefragung ja zum Umbau des städtischen Eintracht-Stadion, in Freiburg im Breisgau machte ein Bürgerentscheid 2015 den Weg frei für das Mooswald-Stadion. „Die Ratsmitglieder sollten sich einen Ruck geben und einfach die Mehrheit entscheiden lassen, so wie in Braunschweig und Freiburg!“, fordert Schumacher. So habe der Freiburger Stadtrat den Bürgerentscheid sogar einstimmig beschlossen, am Tag des Grundsatzbeschlusses.
Tabu Bauleitplanung: „Hinterwäldlerisch“
Die Stadion-Debatte weist für Schumacher auf einen dunklen Fleck des niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes: Auch ein Bürgerentscheid von unten, aus der Bevölkerung heraus initiiert, ist in diesem Fall jenseits der Finanzierungsfrage unmöglich. Der Grund: Das Tabu, in einem Bürgerentscheid über Bauleitpläne zu entscheiden. „Niedersachsen ist eines von sechs Bundesländern, die hier die Mitsprache komplett verbieten. Man könnte auch sagen: Wir sind leicht hinterwäldlerisch. Unter anderem wegen dieser sogenannten Themenausschlüsse steht Niedersachsen im Ländervergleich von Mehr Demokratie weit hinten“, so Schumacher.
Schumacher hält das für höchst bedenklich: „Bei vielen teuren Fehlentscheidungen stand am Anfang ein Beschluss zur Bauleitplanung. Und ausgerechnet da sollen die Bürgerinnen und Bürger nicht mitreden dürfen?“ Fragen der Bauleitplanung betreffen Kernfragen der Kommunalpolitik, die oft dazu führen, dass Menschen mitentscheiden wollen.
Erst fünf Ratsentscheide
Die 2021 eingeführte Möglichkeit des Ratsbürgerentscheids wurde bislang selten genutzt. Bislang gab es nur zwei Fälle. Dreimal wurden Bürgerentscheide vom Rat beschlossen, um innerhalb von zwei Jahren einen Bürgerentscheid zu ändern. Das geht aus der Statistik von Mehr Demokratie hervor.