Neuer Volksbegehrensbericht: Über 400 direkt-demokratische Verfahren in den Bundesländern.

[10/24] In Niedersachsen waren drei Volksbegehren erfolgreich – auch ohne Volksentscheid

Neuer Volksbegehrensbericht: Über 400 direkt-demokratische Verfahren in den Bundesländern. In Niedersachsen waren drei Volksbegehren erfolgreich – auch ohne Volksentscheid

In den Jahren 1946 bis Ende 2023 fanden in den deutschen Bundesländern insgesamt 456 direktdemokratische Verfahren statt. 40 waren obligatorische Referenden, 416 wurden aus der Bevölkerung per Unterschriftensammlung angestoßen. Von diesen 416 Verfahren wurden 26 mit einem Volksentscheid beendet, das heißt: Die Bürgerinnen und Bürger entschieden an der Abstimmungsurne über eine politische Sachfrage. Das entspricht einem Anteil von 6,25 Prozent an diesen 416 Verfahren, einem Sechzehntel.

In Niedersachsen gab es zwölf ernsthafte Anläufe, jedoch keinen einzigen Volksentscheid. Dafür waren drei Initiativen und Volksbegehren auch ohne Abstimmung erfolgreich.

Das geht aus dem aktuellen Volksbegehrensbericht hervor, den der Fachverband Mehr Demokratie heute (6.6.2024) vorstellte. Auch wenn es relativ selten zu einem Volksentscheid kommt: Die direkte Demokratie wirkt in Deutschlands Bundesländern. 26,8 Prozent aller von unten angestoßenen direkt-demokratischen Verfahren auf Landesebene führen zu einer Lösung im Sinne der Initiatorinnen und Initiatoren. Sie setzen also ihre politischen Forderungen gänzlich oder zumindest teilweise durch.

Auch in Niedersachsen war jede vierte Initiative erfolgreich. So setzte sich 2020 die Initiatoren eines Volksbegehrens „Artenvielfalt“ bereits im  Antragsverfahren durch: Knapp 140.000 Unterschriften bereiteten den Weg für einen Kompromiss. Zur Jahrtausendwende war das Volksbegehren „Nicht kürzen bei den Kurzen“ nach zähem Kampf siegreich, der Landtag übernahm die Forderungen. 2005/2006 erzielte die Initiative „Das Blindengeld muss bleiben“ im Antragsverfahren einen Kompromiss mit der Landesregierung, nachdem es ihr gelungen war, breite Teile der Bevölkerung zu mobilisieren. 

Bundesweit erzielten Initiativen 70 mal einen vollen, 38 mal einen Teilerfolg ohne Volksentscheid. Demgegenüber stehen 17 teils oder gänzlich erfolgreiche Volksentscheide. Das ist aus den Daten des Berichts ersichtlich. 

„Direkte Demokratie lohnt sich. Sie ist ein oft Türöffner für gute Verhandlungen und tragfähige Kompromisse“, sagt Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie. „Die Politik sieht, dass ein relevanter Teil der Bevölkerung ein Thema per Unterschrift unterstützt. Sie erkennt Handlungsbedarf.“ Aus Bürgersicht sei direkte Demokratie ein Frustschutzmittel:„‚Die da oben‘ können eben nicht einfach machen, was sie wollen, wenn ihnen die Menschen auf die Finger klopfen“, so Beck.

Der Bericht blickt insbesondere auf die Jahre 2022 und 2023. In diesen beiden Jahren wurden 10 respektive 13 direkt-demokratische Verfahren von
unten angestoßen. Damit tanzten diese Jahre trotz Pandemie statistisch nicht aus der Reihe: Im 15-Jahres-Durchschnitt wurden 12,6 neue Verfahren in Deutschlands Bundesländern gestartet. In Niedersachsen war es ein Verfahren: Die FDP sammelte zu wenige Unterschriften für ihre Initiative „Offene Förderschulen. Offene Chancen!“.

Seit eine Reformwelle in den 1990er-Jahren sind Volksbegehren und Volksentscheide in allen Bundesländern möglich, in Niedersachsen seit 1993. Doch die Regeln sind höchst unterschiedlich ausgestaltet. Beck: „Manches Bundesland schreckt mit hohen Hürden ab, die Menschen müssen einfach unrealistisch viele Unterschriften sammeln.“ Während in Schleswig-Holstein nur 3,6 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger ein Volksbegehren unterstützen müssen, damit es zu einem Volksentscheid (oder einem Kompromiss) kommt, sind es in Sachsen 13,2 Prozent. Viele Länder entschieden sich für 10 Prozent. So auch Niedersachsen.

Am Häufigsten stößt die Bevölkerung in Hamburg, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern direkt-demokratische Verfahren an – allesamt Länder mit einem niedrigen Unterschriften-Quorum und daher einer realistischen Erfolgsaussicht. Ralf-Uwe Beck drängt daher zu Reformen: „Es bleibt insgesamt eine Aufgabe der Politik, die Verfahren bürgerfreundlicher zu gestalten. Der Bericht belegt: Dort, wo die Regeln gut sind, nutzen die Menschen besonders oft direkt-demokratische Verfahren. Und das stärkt unsere Demokratie.“

Jeweils rund ein Viertel aller bisherigen Volksbegehren in den deutschen Bundesländern drehte sich um Bildungsthemen oder den Themenbereich „Demokratie und Innenpolitik“. In den letzten Jahren holten die Themen Soziales und Umweltschutz auf. Einen Volksentscheid auf Bundesebene gibt es bislang noch nicht. 

Hintergrund

Überblick: Bisherige Volksbegehren in Niedersachsen
https://bremen-nds.mehr-demokratie.de/niedersachsen/volksbegehren/bilanz/bilanz-volksbegehren-tabelle/

Vollständigen Volksbegehrensbericht 2024 hier online lesen:
https://www.mehr-demokratie.<de/fileadmin/pdf/2024/Publikationen/240529_VBB_2024_web.pdf

Zur digitalen Zusammenfassung des Berichts:
https://www.mehr-demokratie.de/mehr-wissen/buergerbegehren-in-den-kommunen/buergerbegehrensbericht-2021/volksbegehrensbericht-2024