Niedersachsen: Mehr Demokratie legt Volksbegehrensbericht 2008 vor

[09/09] Politik muss sich an Volksbegehren gewöhnen

Bremen/Berlin.

Der Bedarf nach direkter Mitbestimmung aufseiten der Bürgerinnen und Bürger ist groß, die Akzeptanz aufseiten der Politik muss noch wachsen. So das Fazit des Vereins Mehr Demokratie im aktuellen Volksbegehrensbericht 2008.

 

17 Volksbegehren und -initiativen wurden 2008 neu eingeleitet, sodass insgesamt 44 Verfahren liefen. In sechs Fällen haben sich die Initiatoren auf den Weg in Richtung Volksentscheid gemacht und je nach Bundesland die Sammlung von 80.000 bis 200.000 Unterschriften angestrebt.

 

Betrachtet man die Häufigkeit von Volksinitiativen/Anträgen auf Volksbegehren, so nutzen die norddeutschen Bundesländer Hamburg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein die direktdemokratischen Verfahren am häufigsten. Allerdings gab es in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern noch nie einen Volksentscheid aufgrund eines erfolgreichen Volksbegehrens. Über einen längeren Zeitraum betrachtet wird direkte Demokratie in Hamburg am intensivsten genutzt: Alle 1,3 Jahre findet dort ein Volksbegehren, alle 2,6 Jahre ein Volksentscheid statt. Mit 5 Volksentscheiden liegt die Hansestadt mittlerweile gleichauf mit dem langjährigen Spitzenreiter Bayern. Insofern ist es kein Zufall, dass gerade dort 2008 ein direktdemokratischer Fortschritt erzielt wurde. Nach jahrelangem Gezerre einigte sich die Initiative „Für faire und verbindliche Volksentscheide – Mehr Demokratie“ mit den Parteien auf eine höhere Verbindlichkeit und bürgerfreundlichere Regelung des Zustimmungsquorums.

 

In anderen Ländern, etwa in Thüringen ist die politische Kultur im Umgang mit Volksbegehren dagegen dringend verbesserungsbedürftig. Dort missachtete die alleinregierende CDU das Votum von knapp 236.000 Bürgerinnen und Bürgern zum Volksbegehren ‚Mehr Demokratie in Thüringern Kommunen’, indem sie noch vor dem Volksentscheid die Gesetzeslage änderte. „Der große Erfolg des Jahres 2008 wurde von der CDU in ein verfassungspolitisches Desaster manövriert“, so Gerald Häfner, Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie.

 

Auch insgesamt sieht Mehr Demokratie noch Verbesserungsbedarf. Noch immer scheitern zwei Drittel aller Verfahren vor einem Volksentscheid an kurzen Fristen, hohen Hürden, Themenausschlüssen und Formulierungsfallen. Exemplarisch zeigt sich das in Berlin: Zwar ist die Hauptstadt 2008 mit vier neu gestarteten Initiativen und zwei Volksbegehren in der zweiten Stufe Spitzenreiter. Doch zugleich klagen gleich drei Initiativen vor dem Verfassungsgericht, weil der Senat sie für ganz oder teilweise für unzulässig erklärt hat.

 

Schafft es eine Initiative bis zum Volksentscheid, liegt die durschnittliche Erfolgsquote bei rund 57 Prozent. „Dort wo es zusätzliche Abstimmungshürden gibt, ist fast jeder zweite Volksentscheid gescheitert, auch wenn die Bevölkerung mit ‚Ja’ gestimmt hat“, erklärt Häfner, „das ist frustrierend und inakzeptabel!“ Je nach Thema müssen in vielen Ländern zwischen 25 und 50 Prozent aller Wahlberechtigten zustimmen. Ohne die Kopplung an eine Wahl ist das kaum zu schaffen. „Unsere Studie hat ergeben, dass sich an Volksentscheiden, die zusammen mit Wahlen stattfinden, durchschnittlich 62 Prozent beteiligen, allerdings nur knapp 36 Prozent an Volksentscheiden ohne Wahl, wie im Fall Tempelhof.“

 

In Niedersachsen fand seit Einführung des Instruments im Jahre 1993 noch kein einziger Volksentscheid statt. Von den sieben Anläufen für ein Volksbegehren erreichte nur eine Initiative die erforderliche Unterschriftenzahl. „Je bürgerfreundlicher die Regelung, desto mehr Verfahren finden statt. In Niedersachsen braucht man sich angesichts der hohen Hürden über die fehlende direktdemokratische Praxis also nicht zu wundern“, so Tim Weber, Sprecher des Landesverbands.

 

Die Kritik des Vereins zielt vor allem auf das für ein Flächenland zu hohe Unterschriftenquorum von 10 Prozent. In sechs Bundesländern gelte ein niedrigeres Unterschriftenquorum, was in Berlin, Hamburg, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zu einer intensiven Praxis geführt hat. Auch das geltende Zustimmungsquorum von 25 Prozent (einfache Gesetze) und 50 Prozent (Verfassungsänderungen) ist dem Verein zufolge zu hoch. Fünf Bundesländer sehen für einfache Gesetze gar keine Zustimmungsquoren (Bayern, Hessen, Sachsen) oder niedrigere Quoren vor (NRW, Hamburg).

 

Den Volksbegehrensbericht 2008 als PDF und eine Zusammenfassung finden Sie online im Pressebereich:

bremen-nds.mehr-demokratie.de/hb_nds_presse.html