Volksbegehrensbericht 2021: Mehr Umweltschutz durch direkte Demokratie - Flaute in Niedersachsen

[04/22] +++ Direkte Demokratie: große Unterschiede zwischen den Ländern +++ Volksentscheide auf Bundesebene fehlen +++ Flaute in Niedersachsen

Hinweis: Einordnung zu Niedersachsen am Ende der PM

Direkte Demokratie schiebt den Klimaschutz mit an – das zeigt der aktuelle Volksbegehrensbericht, den der Verein Mehr Demokratie heute (17.03.)  veröffentlicht hat. Bis Ende 2021 zählte der Fachverband in den Ländern insgesamt 71 direktdemokratische Verfahren mit Umweltschutzeffekten. Mehr als die Hälfte (39) dieser Verfahren wurden in den vergangenen zehn Jahren initiiert, was heute schon etwa ein Sechstel aller Verfahren „von unten” ausmacht. „Die Bevölkerung nimmt Klimaschutz in den Kommunen und auf Länderebene immer öfter selbst in die Hand”, sagt Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie. „Doch auf Bundesebene, wo die wichtigsten Weichen gestellt werden, bleiben die Bürgerinnen und Bürger außen vor. Es fehlt der  bundesweite Volksentscheid.” Neben den Umwelt- und Klimaschutzthemen, so der Demokratie-Verein, brennen den Menschen auch Sozial- und Bildungsthemen auf den Nägeln.

Allerdings ist die Zahl der jährlich gestarteten Initiativen mit der Corona-Pandemie zurückgegangen. Waren 2018 und 2019 noch jeweils 17 Initiativen an den Start gegangen, zählt der Fachverband für 2020 zehn, im Jahr 2021 zwölf neue Verfahren.

Die direktdemokratischen Verfahren summieren sich seit der Einführung in den ersten Bundesländern im Jahr 1946 auf insgesamt 433. Davon wurden 393 von den Bürgern, also „von unten“ ausgelöst. Augenfällig sei nach Ansicht von Mehr Demokratie das Gefälle zwischen den Bundesländern: Die lebendigste direktdemokratische Praxis verzeichnet der Bericht für Bayern (61), Hamburg (61) und Brandenburg (56). In die zweite Sammelstufe (Volksbegehren) kamen 101 Verfahren. 25 Mal haben die Bürger direkt über einen Gesetzentwurf abgestimmt (Volksentscheid), dies jedoch in nur sieben Bundesländern. In neun Ländern hat es bisher keinen Volksentscheid gegeben.

„Mehr als ein Viertel der von Bürgerinnen und Bürgern gestarteten Initiativen sind erfolgreich, die meisten, weil sie in parlamentarische Entscheidungen münden“, so Beck. „Die direkte Demokratie entfaltet ihre politische Wirkung also nicht erst beim Volksentscheid, sondern gibt Parlamenten und Regierungen wichtige Impulse.“ Reformen der direkten Demokratie auf Landesebene würden derzeit in den Landtagen von Thüringen und Sachsen diskutiert. In beiden Ländern gehe es um die Senkung der Hürden für die Unterschriftensammlungen zu Volksbegehren. Zudem gäbe es Bestrebungen, den so genannten Volkseinwand einzuführen, mit dem vom Landtag beschlossene Gesetze per Volksentscheid überprüft werden können.

Ernsthafte, von Parteien ausgehende Initiativen, den bundesweiten Volksentscheid einzuführen, sieht Mehr Demokratie e.V. nicht. „Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung sieht zwar vor, die unverbindliche Bürgerbeteiligung auszubauen, vernachlässigt aber sträflich die direkte Demokratie“, beklagt Beck.

+++ Flaute in Niedersachsen – Verein fordert grundlegende Reformen

Niedersachsen gehört zu den neun Bundesländern, in denen es noch nie einen Volksentscheid aufgrund eines Volksbegehrens gegeben hat. Die Anzahl der Versuche, ein Volksbegehren zu starten, sei äußerst niedrig, so Mehr Demokratie. So herrschte zwischen 2014 und 2019 in Niedersachsen völlige Flaute: Niemand wagte es, ein Volksbegehren zu starten. Erst 2020 ging es weiter, das Volksbegehren Artenvielfalt startete. Dieses führte noch in der ersten Verfahrensstufe zu einem Kompromiss mit der Landesregierung. Als Folge wurde das eigentliche Volksbegehren gar nicht erst beantragt. 

Für Dirk Schumacher, Landessprecher von Mehr Demokratie für Niedersachsen, liegen die Ursachen der  geringen direktdemokratischen Praxis klar auf der Hand. Es gab in fast dreißig Jahren keine Volksentscheide, weil es eben auch keine Verbesserungen im Verfahren gab. „Die überhöhten Hürden verhindern, dass die Menschen in wichtigen Sachfragen mitentscheiden. Die Unterschriftenhürde ist mit zehn Prozent für ein großes Flächenland zu hoch.“ Werde diese Hürde doch mal übersprungen, warte auf Initiativen das noch größere Hindernis Zustimmungsquorum beim Volksentscheid. Das liege immerhin bei 25 Prozent. „Kein Wunder, dass es so wenige Anläufe gibt“ merkt Schumacher an. „Die Hürden schrecken ab.“ 

Laut Schumacher fordert Mehr Demokratie eine Senkung der Unterschriftenhürde auf fünf Prozent. Außerdem lehnt Mehr Demokratie Zustimmungsquoren bei Volksentscheiden ab. Wie bei Wahlen sollte die Mehrheit der Abstimmenden entscheiden. Mindestens müssten Zustimmungsquoren aber deutlich gesenkt werden. Das Verfahren sollte gestrafft werden, nach der ersten Stufe solle bereits der Landtag beraten und Vorschläge von Initiativen übernehmen können. Ergänzend zur freien Sammlung sei die Einführung der digitalen Unterschriftensammlung zeitgemäß. Ebenso ein verpflichtendes Abstimmungsheft vor Volksentscheiden.

Nur drei von elf Initiativen schafften es in fast drei Jahrzehnten, in die zweite Verfahrensstufe zu kommen. Zwei dieser Initiativen scheiterten an der Unterschriftenhürde, ein Volksbegehren wurde vom Landtag angenommen. Drei der elf gestarten Initiativen erreichten in unterschiedlichen Phasen des Verfahrens die teilweise oder komplette Annahme ihrer Forderungen durch den Landtag.

Den Volksbegehrensbericht mit zahlreichen Grafiken finden Sie unter:
https://www.mehr-demokratie.de/themen/volksbegehren-in-den-laendern/volksbegehrensbericht-2021

Die Presse-Zusammenfassung sowie die Aufzeichnung der Pressekonferenz
finden Sie unter:
https://www.mehr-demokratie.de/presse/einzelansicht-pms/volksbegehrensbericht-2021-mehr-umweltschutz-durch-direkte-demokratie