Demokratie macht Schule: Interview mit Judith Schultz

Dr. Judith Schultz war in den vergangenen Monaten ehrenamtlich in unserem Bildungsprojekt „Demokratie macht Schule“ aktiv.

 

Wie kam es dazu, dass Du bei dem Projekt mitgemacht hast?

Vor fünf Jahren habe ich mich am Unterschriftensammeln beteiligt, weil ich Zeit hatte und mir das Thema sehr wichtig war. Während meiner Promotionszeit hatte ich erfahren, wie wesentlich die Ausgestaltung des Wahlrechts ist, um den Bürgern Einfluss auf die Politik zu geben oder zu verwehren. Und in Deutschland haben die politischen Parteien auf allen Ebenen des Staates inzwischen eine unglaubliche – teils exklusive – Macht- und Einflussposition erlangt. Das tut unserer Demokratie nicht gut. Das neue Wahlrecht ist eine kleine Stellschraube, um die innerparteiliche Macht der Parteispitzen zugunsten von mehr Demokratie bei der Kandidatenwahl zu brechen. Das kann aber erst der Anfang auf dem Weg zur (Rück-)Eroberung von mehr Demokratie sein.

 

Ich habe mal nachgezählt: Du hast über 30 Schulklassen besucht. Ziel des Projektes war es, den jungen Menschen das Wählen und die Demokratie näher zu bringen. Wie schätzt Du das ein: ist das gelungen?

Absolut. Das ist ein Thema, das in vielen Familien anscheinend nicht behandelt wird – oder oft mit Vorurteilen, wie: „Man kann ja sowieso nichts ändern“. Mir war es wichtig zu zeigen, dass man was ändern kann. Das erfolgreiche Volksbegehren war natürlich das Paradebeispiel. Aber mir war auch wichtig zu demonstrieren, es geht nicht um die da oben und uns da unten, sondern wir wählen die Vertreter unserer Interessen. Ich glaube, das ist gelungen – auch wenn Wahlen zugegebener Maßen nur ein kleines Bausteinchen in einem funktionierenden demokratischen System sein können.

 

Wie waren die Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler auf die Unterrichtsstunden?

Die Rückmeldungen waren meine Belohnung. Ich habe immer gleich meine „Kritiken“ auf den Feedback-Bögen gelesen. Rückmeldungen wie: „Danke, dass wir Fragen stellen durften“, Danke, dass Sie auf unsere Fragen eingegangen sind“, „Danke, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben“ oder „Sie haben uns ja nicht nur das Wahlrecht, sondern gleich die ganze Demokratie erklärt“ sind beredte Beispiele dafür, wie offensichtlich immer noch gelehrt wird, aber auch, dass wir einen positiven Eindruck hinterlassen haben.

 

In Bremen wurde ja das Wahlalter auch für die Landtagswahlen auf 16 Jahre gesenkt. Mit den Erfahrungen von „Demokratie macht Schule“ im Hinterkopf: Ist die Entscheidung richtig? In anderen Bundesländern wird gerade diskutiert, das Wahlalter zu senken.

Ich war zunächst sehr skeptisch, was die Senkung des Wahlalters anging, da es sicherlich maßgeblich parteipolitisch motiviert war. Dennoch denke ich, dass im Sinne des Artikel 20 GG „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ das gesamte Volk in den jeweiligen Parlamenten repräsentiert sein sollte: über das Wahlrecht ab Geburt – ausgeübt durch die gesetzlichen Vertreter. Doch bei den 16- und 17- jährigen, denke ich inzwischen, ja, die können das Recht auch höchstpersönlich wahrnehmen. Vor allem wenn es auch in den Schulen thematisiert wird. Da macht es dann keinen Unterschied ob jemand 16 oder 60 ist.

 

Wie war es für Dich, Judith, als "Neuling" in die Rolle der Lehrerin zu schlüpfen?

Ein wichtiger Anreiz für mich, an dem Projekt teilzunehmen, war es, einmal die unterschiedlichsten Schulen zu besuchen und direkten Kontakt zu den unterschiedlichsten Jugendlichen zu bekommen. Das war eine tolle Erfahrung für die ich sehr dankbar bin. Am meisten haben mich die Besuche in Hauptschulen, der Werkstadtschule Bremerhaven oder der Berufsschule Bremerhaven fasziniert. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen konnten sich zwar zum Teil nicht so ausdrücken wie die Gymnasiasten vom Alten Gymnasium, das für mich ganz oben auf der Skala rangiert. Aber sie haben doch ein sehr feines Gespür dafür, was Demokratie bedeutet und dass etwas schief hängt. Die große Aufmerksamkeit, die vielen offen gestellten Fragen wie „Was machen eigentlich Politiker?“ oder Diskussionen zum Vorwurf „Die sind doch alle korrupt“ haben mir persönlich gezeigt, dass man durch Wertschätzung und umsichtiges Eingehen auf diese Themen – hoffentlich nachhaltige – Denkanstöße bewirken kann.

Die Interviewfragen stellte Dirk Schumacher