Niedersachsen: Reformvorschläge
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid
Die direkte Demokratie in Niedersachsen krankt an hohen Hürden. Deshalb gab es auf Landesebene noch keinen Volksentscheid. Um dies zu ändern hat Mehr Demokratie e.V. einen umfassenden Reformvorschlag für landesweite Volksbegehren erarbeitet. Artikel 47 bis 50 der Niedersächsischen Verfassung müssen dazu geändert werden.
Bei der Volksinitiative ist die Zahl der nötigen Unterschriften von 70.000 auf höchsten 25.000 Unterschriften zu senken.
Begründung: Bei der Volksinitiative geht es darum, dass ein Thema im Landtag diskutiert und entschieden wird. Die Entscheidungskompetenz liegt also beim Landtag. Hier darf die Hürde, damit die Bürgerinnen und Bürger sowie Verbände mit dem Landtag überhaupt ins Gespräch kommen nicht zu hoch sein.
Bisher sind Volksinitiative und Volksbegehren voneinander unabhängig. Diese Verfahren sollten wie in Schleswig-Holstein und Brandenburg miteinander gekoppelt werden. Die Volksinitiative wäre die Voraussetzung für die Beantragung eines Volksbegehrens.
Begründung: Durch die Koppelung beider Verfahren könnte man ihre jeweiligen Vorteile nutzen, ohne sie zu schwächen. Die Initiatoren können nur eine Volksinitiative durchführen, wenn sie dem Landtag lediglich einen Vorschlag unterbreiten wollen. Oder der Landtag beschließt gänzlich oder teilweise im Sinne des Vorschlags. Es liegt bei den Initiatoren, ob sie ein Volksbegehren beantragen. Ein erfolgreiches Volksbegehren führt zu einem Volksentscheid, bei dem die Abstimmenden verbindlich anstelle des Landtags entscheiden. In einem dreistufigen Verfahren soll die Volksinitiative die Möglichkeit haben, nach der Anhörung im Landtag ihren Gesetzentwurf zu überarbeiten und zu verbessern. Anregungen aus dem Parlament können aufgenommen werden. Das Verfahren soll zudem so gestrafft werden, dass dessen Dauer, anders als bislang, für die Initiatoren kalkulierbar wird.
Bisher sind Themen wie Gesetze über den Landeshaushalt, öffentliche Abgaben und Dienst- und Versorgungsbezüge ausgeschlossen. So wie in der Schweiz und vielen US-Bundesstaaten sollten die Bürgerinnen und Bürger auch über Fragen der öffentlichen Finanzen wie Steuer, Abgaben und Verwendung von Staatsausgaben abstimmen können. Allenfalls sollte das Hausgesetz von der Volksgesetzgebung ausgenommen werden.
Begründung: Sollte das Finanztabu in Niedersachsen bestehen bleiben werden auch zukünftig viele Volksbegehren über wichtige Themen für unzulässig erklärt werden, denn viele Gesetze sind haushaltswirksam. In der Schweiz wird regelmäßig über Fragen der öffentlichen Finanzen abgestimmt. In einigen Kantonen sind ab einer bestimmten Ausgabenhöhe Volksabstimmungen verpflichtend vorgeschrieben (obligatorisches Finanzreferendum). Dies wirkt sich positiv auf den Zustand der öffentlichen Haushalte aus. Kantone (entsprechen unseren Bundesländern) mit besser ausgebauten direktdemokratischen Instrumenten, vor allem auch dem Finanzreferendum, verfügen über eine höhere Wirtschaftsleistung, eine geringere Staatsverschuldung und eine höhere Steuermoral als Kantone mit weniger gut ausgebauten direktdemokratischen Rechten. Verkürzt kann man also sagen: Je direktdemokratischer, desto wirtschaftlich gesünder!
Das Unterschriftenquorum beim Volksbegehren ist von zehn Prozent der Stimmberechtigten auf fünf Prozent zu senken.
Begründung: Das jetzige Unterschriftenquorum ermöglicht Volksbegehren nur in Ausnahmefällen, da der Aufwand für Initiatoren gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen zu groß ist. Volksbegehren können aber als Seismograph für gesellschaftliche Probleme nur dann funktionieren, wenn sie Missstände rechtzeitig anzeigen. Das niedersächsische Unterschriftenquorum erfordert schon eine Erdbebenstärke 10, um den Erfolg eines Volksbegehrens zu ermöglichen. In Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg und Brandenburg betragen die Unterschriftenquoren fünf bzw. vier Prozent. In der Schweiz und den Schweizer Kantonen sind es durchschnittlich zwei bis drei Prozent der Stimmberechtigten.
Beim Volksentscheid ist das Zustimmungsquorum von 25 bzw. 50 Prozent zu streichen oder zumindest zu senken.
Begründung: Ein Zustimmungsquorum von 50 Prozent, d. h. jeder zweite Stimmberechtigte muss zur Abstimmung gehen und mit Ja stimmen, ist nahezu unerreichbar. In der Schweiz und in den USA gibt es solche Quoren nicht. In Bayern galt über 50 Jahre lang wie bei Wahlen das Prinzip "Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet". Dieses Prinzip ist fair, da jeder die Chance hat, an der Abstimmung teilzunehmen. Wer zuhause bleibt, wird nicht mitgezählt. In den USA heißt es: "Vote or shut up!" Bei einfachen Gesetzen gilt in Niedersachsen ein Zustimmungsquroum von 25 Prozent der Stimmberechtigten. Auch diese Anforderung ist zu hoch. In Bayern und Sachsen gilt bei Volksentscheiden über einfache Gesetze das Mehrheitsprinzip. In NRW gibt es ein Zustimmungsquorum von 15 Prozent der Stimmberechtigen, in Hamburg und Bremen von 20 Prozent. In diesen Bundesländern wurde begriffen, daß Zustimmungsquoren in der Höhe nur schaffbar sind, wenn gleichzeitig eine Wahl stattfindet. Vor allem laden Zustimmungsquoren zu Diskussionsboykotten ein, d. h. Gegner einer Vorlage beteiligen sich nicht an der öffentlichen Diskussion, in der Absicht, dass zu wenige Menschen abstimmen und die Abstimmung dann am Quorum scheitert.
Argumente
- Sinn oder Unsinn von Abstimmungsquoren.
Von Dr. Paul Tiefenbach - Faire Bürger- und Volksentscheidsregeln als Schlüssel für lebendige Demokratie.
Von Prof. Dr. Roland Geitmann - Chaos oder Sanierung? Wie sich Volksentscheide auf die öffentlichen Haushalte auswirken.
Von Dr. Paul Tiefenbach