Angriff auf das Wahlrecht?

[27/09] Ausschuss zur Weiterentwicklung des Wahlrechts berät Veränderungen

Bremen. Der Ausschuss zur Reform der Volksgesetzgebung und zur Weiterentwicklung des Wahlrechts hat sich auf seiner heutigen Sitzung erneut mit dem neuen Wahlrecht in Bremen beschäftigt. Auf Anforderung des Ausschussvorsitzenden Björn Tschöpe liegen mehrere Stellungnahmen vor, die neben technischen Fragen auch eine Reform des Wahlrechts in einem zentralen Punkt nahe legen.

 

Es handelt sich hierbei um eine unscheinbare Veränderung. Sie betrifft die Frage, nach welchen Regeln die einer Partei zustehenden Sitze verteilt werden. Während im bestehenden Gesetz zunächst die einer Partei zustehenden Listenplätze und danach die Plätze nach Personenstimmen verteilt werden, schlagen die Stellungnahmen die umgekehrte Reihenfolge gleich der niedersächsischen Regelung auf Kommunalebene vor.

 

Im Ergebnis würde der Einfluss der Wählerinnen und Wähler sinken. Nach Einschätzung von Mehr Demokratie e.V. bewirkt die geltende Regelung, dass ca. 25 bis 30 Prozent der Abgeordneten in die Bürgerschaft gelangen, die es bei dem früheren Listenwahlrecht nicht geschafft hätten. Nach der vorgeschlagenen niedersächsischen Regelung würde dieser Wert wohl auf unter zehn Prozent sinken. "Ein Personenwahlrecht, das kaum Wirkung entfaltet, ist witzlos", erklärte Tim Weber von Mehr Demokratie.

 

Nach Ansicht von Mehr Demokratie wird sich keine politische Mehrheit für diese Änderung finden, da über 70.000 Menschen und die Bürgerschaft mit großer Mehrheit für dieses Wahlrecht mit dieser Regelung gestimmt haben. Von Seiten der Regierung werden rechtliche Bedenken geltend gemacht. Besonders das Justizressort nimmt eine unglückliche Rolle ein. Das Gesetz wurde 2006 bei der Zulassung des Volksbegehrens und bei der Verabschiedung durch die Bürgerschaft geprüft und nicht beanstandet. In einer Stellungnahme vom 26.3.2009 wurden verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht, die wiederum in der Sitzung am 21. April mündlich teilweise zurückgenommen wurden. Die Einschätzung "verfassungswidrig" wurde in "systemwidrig" abgeschwächt. Auf der Sitzung des Ausschusses am 19. Mai trug der Staatsrat Prof. Matthias Stauch (Ressort Justiz und Verfassung) noch einmal seine Bedenken vor und kommt wieder zu dem Urteil, die geltende Rechtslage läge zwischen "systemwidrig" und "verfassungsrechtlich bedenklich".

 

Auch die vom wissenschaftlichen Dienst vorgetragene Stellungnahme kommt zu dem Ergebnis "verfassungsrechtlich bedenklich", nicht aber zu dem Ergebnis "verfassungswidrig". Demgegenüber stellt das Gutachten von Wilko Zicht (www.wahlrecht.de) klar, dass die bestehende Regelung im Einklang mit der Verfassung stehe und die erhobenen Vorwürfe auch auf die niedersächsische Regelung zutreffen würden.

 

Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP äußerten sich dahingehend, dass für sie eine Änderung nur in Betracht käme, wenn dies verfassungsrechtlich zwingend sei. Der Ausschuss einigte sich darauf, externe Gutachter mit dieser Fragestellung zu befassen.

 

"Die Bürgerinnen und Bürger wollen mehr Einfluss auf die Zusammensetzung der Bürgerschaft. Dies kam im Volksbegehren klar zum Ausdruck. Das Gesetz ohne Not ändern zu wollen, ist kein guter Stil und verkennt den Wunsch der Menschen nach mehr Demokratie", kommentierte Tim Weber.