Mehr Gleichberechtigung durch weniger Demokratie?

Antje Grotheer, Vize-Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft, will zurück zum Listenwahlrecht.  Katrin Tober, Landessprecherin von Mehr Demokratie, widerspricht ihr. 

Katrin Tober ist Landessprecherin von Mehr Demokratie in Bremen

Seit 2011 können die Menschen in Bremen ihre Lieblingskandidatinnen und Lieblingskandidaten in die Bürgerschaft wählen. Welch ein Fortschritt – und Bremen geht, zusammen mit Hamburg, vorne weg! Darauf können wir stolz sein. Das neue Wahlrecht entstand durch den Druck von unten: Über 70.000 Menschen unterschrieben 2006 das Volksbegehren „Mehr Demokratie beim Wählen“. Daraufhin übernahm die Bürgerschaft den Gesetzentwurf von Mehr Demokratie. Auch der Versuch, das Wahlrecht nachträglich vor dem Staatsgerichtshof zu kippen, scheiterte. Das Wahlrecht wurde immer häufiger genutzt, es bewährte sich sich in der Praxis. Die Menschen kumulieren und panaschieren nach Herzenslust! Daran hat auch die Reform von 2018 nichts geändert.

Kein Grund für eine Rolle rückwärts

Es besteht schlicht kein Grund für eine Rolle rückwärts, wie sie Bürgerschafts-Vize-Präsidentin Antje Grotheer nun einfordert. Die Wählerinnen und Wähler können die Landeslisten der Parteien durcheinanderwirbeln, argumentiert die SPD-Politikerin. Auch wenn Listen geschlechtsparitätisch besetzt seien, könne das Wahlergebnis „anders aussehen“. Will meinen: Trotz 50 Prozent Frauen auf der Landesliste könne es mit dem bestehenden Wahlrecht passieren, dass weniger als 50 Prozent der Bürgerschaftsabgeordneten weiblich sind. Deswegen sollte aus Grotheers Sicht „sorgfältig geprüft werden, ob man zum Listenwahlsystem zurückgehen muss“.

Die Wählenden sind frauenfreundlicher als die Parteien

Ganz nüchtern betrachtet: Ja, die Wählerinnen und Wähler wirbeln die Listen der Parteien tatsächlich durcheinander. Und das ist so gewollt. Schließlich haben sie sich dieses Recht selbst erkämpft. Aus Sicht der Geschlechterparität wäre das nur dann ein Problem, wenn kandidierende Frauen in der Praxis tatsächlich benachteiligt würden. Das ist aber nicht zwangsläufig der Fall: Bei der letzten Bürgerschaftswahl rutschten acht Frauen auf ihren Listen nach unten, aber neun Frauen noch oben. In der SPD hielten sich drei Gewinnerinnen und drei Verliererinnen die Waage, bei CDU und Grünen stieg sogar jeweils eine Frau mehr auf als ab. Die Wählenden waren also unter dem Strich leicht frauenfreundlicher als die Parteien bei ihrer Listenaufstellung.

Frauenanteil muss steigen. Aber wie?

In der Bremischen Bürgerschaft schwankt der Frauenanteil seit vielen Jahren um die 40 Prozent. Damit steht Bremen vergleichsweise gut da. Das reicht SPD, Grünen und Linken nicht. Sie wollen, dass Frauen und Männer paritätisch im Parlament vertreten sind und sie wollen dafür die Wahlmöglichkeiten der Wählerinnen und Wähler einschränken. Für Mehr Demokratie müssen die Personenstimmen weiterhin Gewicht haben. Mehr Gleichberechtigung durch weniger demokratische Rechte? Es geht auch anders. Ein simpler Hebel wäre zum Beispiel, mehr als 50 Prozent weibliche Kandidatinnen aufzustellen , sie weiter vorne auf den Listen zu platzieren und sie besser im Wahlkampf zu unterstützen. Die Parteien könnten auch mehr Frauen weiter vorne auf den Listen platzieren. Das dürfte ihre Chancen, gewählt zu werden, ebenfalls erhöhen.  Einfach wird das nicht. Parteien sind offenbar immer noch nicht hinreichend attraktiv für alle: Bei den Grünen liegt der Frauenanteil in der Mitgliedschaft knapp über 40 Prozent, in allen anderen relevanten Parteien darunter, meist sogar deutlich. So ist auch nur knapp jedes dritte SPD-Mitglied eine Frau. Der von Grotheer als zu gering beklagte Frauenanteil in der Bremer Bürgerschaft ist also deutlich höher als derjenige in Grotheers Partei.

Keine Wahlrechtsänderung ohne Volksentscheid!

Frau Grotheer will das Wahlrecht nun „öffentlich breit diskutieren“. Das begrüßen wir sehr. Mehr Demokratie fordert aber nicht nur eine breite Diskussion zu den geplanten Änderungen, sondern eine landesweite Abstimmung zu dieser Frage. Sollte die Koalition tatsächlich wieder das alte Listenwahlrecht einführen wollen, müssen das die Wählerinnen und Wähler per Volksentscheid selbst entscheiden können. Der Volksentscheid würde die Debatte zu dieser gesellschaftlich relevanten Frage beleben und die Menschen können sicher sein, dass sie nicht übergangen werden. Schließlich geht das Wahlrecht nicht nur die Parteien etwas an. Sondern uns alle. Katrin Tober

 

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