Galopprennbahn: Menschen müssen widersprechen können!

Fachverband schlägt verbesserte Beteiligung vor

Bremens Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt schlägt eine Teilbebauung des Geländes der Galopprennbahn in der Vahr vor. 2019 hatte sich die Bevölkerung per Volksentscheid dagegen ausgesprochen. Katrin Tober, Landessprecherin des Fachverbands Mehr Demokratie e.V., ist überrascht von dem Vorstoß. Zwar dürfe der Gesetzgeber formal selbstverständlich jederzeit Gesetze beschließen oder ändern. Auch könne die Bürgerschaft vom Volk beschlossene Gesetze aufheben. Allerdings sei bei den wenigen vom Volk auf den Weg gebrachten Gesetzen besonderes Abwägen geboten. „Ziel sollte sein, ein produktives Zusammenspiel zwischen repräsentativer und direkter Demokratie zu erreichen. Das ist nur möglich, wenn faire Regeln gelten und Gesetzesvorlagen aus der Bevölkerung ernstgenommen werden“, so Tober. 

Wenn hier jetzt aus nachvollziehbaren Gründen ein neues Ortsgesetz erforderlich würde, sollte dies zwingend mit den Bürgerinnen und Bürgern entschieden werden. Tober zufolge bieten sich verschiedene Wege an. Das Parlament könnte beschließen, die Bevölkerung über die Pläne zur Teilbebauung per Volksentscheid abstimmen zu lassen. Die Frage, wie mit vom Volk beschlossenen Gesetzen umzugehen ist, stellt sich aber nicht nur hier, sondern generell. 

Das Land Bremen sollte deshalb ein neues direktdemokratisches Instrument nach Hamburger Vorbild einführen, das folgendes vorsieht: Wenn die Politik ein vom Volk beschlossenes Gesetz abschafft oder ändert, hat es die Bevölkerung mit einem vereinfachten Verfahren selbst in der Hand, einen erneuten Volksentscheid zu der Frage auf den Weg zu bringen. Nachdem die Gesetzesänderung beschlossen wurde, kann das Instrument des fakultativen Referendums genutzt werden. Dann haben die Bürgerinnen und Bürger drei Monate Zeit, um die Hälfte der ansonsten erforderlichen Unterschriften zu sammeln. Beispiel in diesem Fall: Unterschreiben binnen eines Zeitraums von drei Monaten 2,5 Prozent der Wahlberechtigten (bei einem gewöhnlichen Volksbegehren 5 Prozent), kommt es erneut zum Volksentscheid. Statt etwa 20.000 müssten also 10.000 Unterschriften gesammelt werden. Kommen nicht genug Unterschriften zustande oder wird das Instrument nicht genutzt, kann das Gesetz wie geplant in Kraft treten.

Die bremische Politik sollte nicht über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg entscheiden.  „Rot-Grün-Rot könnte die direkte Demokratie in Bremen jetzt sinnvoll weiterentwickeln und zeigen, dass Bürgerbeteiligung ernsthaft gewollt ist“, sagt Katrin Tober. In der Schweiz gibt es das fakultative Referendum seit 1874 – und zwar potenziell bei allen neuen Gesetzen. In Hamburg greift das Instrument, wenn vom Volk beschlossene Gesetze geändert werden sollen. 

Hintergrund:
Sowohl beim Parlamentsreferendum wie bei einem fakultativen Referendum würde die Bevölkerung abstimmen, ob eine Gesetzesänderung in Kraft treten soll oder nicht. Das Parlamentsreferendum wird aber von oben, also von der Bürgerschaft angestoßen, das fakultative Referendum hingegen von unten, nämlich aus der Bevölkerung. Beim fakultativen Referendum müssen die Initiatorinnen und Initiatoren eine bestimmte Zahl an Unterstützer-Unterschriften sammeln. Beim Parlamentsreferendum ist dies natürlich nicht der Fall: Hier entscheidet die Parlamentsmehrheit. Beide Verfahren führen in einem verkürzten Weg zum Volksentscheid.