Niedersachsen: Fusionspläne sorgen für hitzige Debatten und zwei Bürgerbegehren

Wir berichten über die zwei Bürgerbegehren im Elbe-Weser-Dreieck, die eine Fusion mehrerer Gemeinden verhindern wollen. Drum herum gibt es zum Teil hitzige Debatten.

Bevor es losgehen kann mit der Unterschriftensammlung für ein Bürgerbegehren müssen einige Hürden bewältigt werden, die der Gesetzgeber aufgestellt hat.

In den Gemeinden Balje und Wischhafen, Teil der Samtgemeinde Nordkehdingen, brodelt es. In der Samtgemeinde gibt es Pläne, diese in eine Einheitsgemeinde umzuwandeln. Das würde bedeuten, dass die Mitgliedsgemeinden der Samtgemeinde, die bisher eigene Entscheidungsbefugnisse haben, aufgelöst werden und zur Einheitsgemeinde Nordkehdingen zusammengefasst werden. Die schon ausgearbeiteteten Pläne sehen vor, dass die Fusion zum 1.11.2016 wirksam wird, also zu Beginn der neuen Kommunalwahlperiode. Neben Balje und Wischhafen gibt es noch die Mitgliedsgemeinden Freiburg/Elbe, Krummendeich und Oederquart. In Wischhafen waren die Fusionpläne bereits 2011 Gegenstand einer vom Rat beschlossenen Bürgerbefragung. Damals sprachen sich zwei Drittel der Befragungsteilnehmer gegen eine solche Fusion aus. Nun haben die Räte sich Ende Juni für die Fusionspläne ausgesprochen.

Startschwierigkeiten

Sowohl in Wischhafen als auch in Balje wurden im August Bürgerbegehren gestartet, um die Fusion zu verhinden. In Wischhafen müssen 250 gültige Unterschriften zusammenkommen, in Balje 90. Gelingt das, finden Bürgerentscheide statt. Diese entfallen nur dann, wenn die Räte den Anliegen der Bürgerbegehren entsprechen. Nach einigem Hin- und Her, es wurden Änderungen an den vorgelegten Bürgerbegehrens-Texten verlangt, wurde die Unterschriftensammlung in Wischhafen nun gestartet. Für die Unterschriftensammlung haben die Initiativen nun drei Monate Zeit, in Wischhafen müssen die Unterschriften bis zum 12. November eingereicht werden. Es gilt die Dreimonatsfrist, weil der Ratsbeschluss Mitte August formell bekannt gemacht wurde. In Balje soll es in Kürze losgehen mit der Unterschriftensammlung.

Pro und Contra Fusion

Die Fusion wird begründet mit der Schaffung zukunftsfähiger Verwaltungsstrukturen und einer größeren Effizienz durch eine gemeinsame Verwaltung. Auch der demographische Wandel wird angeführt als Begründung. Die Gegner der Fusion argumentieren, dass es keine finanziellen Notlagen gebe und die Fusion auch keine höheren Zuweisungen an die neue Gemeinde erbringe. Auch die von den Befürworten angeführten Einsparungen seien zweifelhaft. Regelmäßig wird als Folge von Gemeindezusammenlegungen eine abnehmende Bürgernähe befürchtet, weil die bisherigen Gemeinderäte als Ansprechpartner wegfallen und aus jedem Gemeindeteil weniger Ratsmitglieder im neuen Rat vertreten sein werden als in den Räten der bisherigen Mitgliedsgemeinden. Bürgerbegehren wären dann z.B. auch nicht mehr so einfach möglich, es gäbe sie nur noch auf Ebene der neuen Einheitsgemeinde.

Hitzige Debatten in Balje

In Balje gab es im August eine hitzige Debatte als die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens behandelt wurde. Einer der Initiatoren musste sich laut Bericht des Stader Tagblattes anhören, dass die Begründung seines Bürgerbegehrens „aufhetzerisch und voller Unwahrheiten“ seien. Das Begehren wurde für zulässig erklärt, allerdings wurden Veränderungen am Text des Bürgerbegehrens eingefordert. Unter anderem wurde verlangt, dass auf der Unterschriftenliste die Möglichkeit „Ja“ und „Nein“ anzukreuzen geschaffen wird, gleiches wurde auch den Wischhafenern auferlegt.

Politische Kultur

Mehr Demokratie meint dazu: Das ist Unsinn, denn beim Bürgerbegehren, der ersten Stufe, geht es nur darum, festzustellen, ob sich genügend Unterstützer für die Durchführung eines Bürgerentscheides finden. Möglichkeiten für „Ja“ und „Nein“-Kreuze finden sich dann erst auf dem Stimmzettel des Bürgerentscheides, der zweiten Stufe des Verfahrens. Wir kennen landesweit kein Bürgerbegehren, in dem so verfahren wurde. Diese Unstimmigkeit wurde aber mittlerweile ausgeräumt. Es stellte sich heraus, dass dies nur als Vorschlag gemeint gewesen sein soll. Bei der Lektüre des Berichtes des Stader Tagblattes vom 26. August liest sich das noch anders: „Letztlich erklärte der Rat das Bürgerbegehren doch für zulässig. [...] Allerdings muss Antragsteller Christian Otten seine Fehler korrigieren. Das sei mit dem Ministerium so abgesprochen, so Bösch [Bürgermeister, Anm. MD]. „Wenn sie das nicht tun, werde ich der Kommunalaufsicht und dem Innenministerium Meldung machen.“ [Zitat Bösch aus dem Stader Tageblatt] Dann wäre die Zulässigkeit des Begehrens gefährdet.“ Sieht so ein Vorschlag aus?

Wer hat Einsicht in Unterschriftenlisten?

Auch merkwürdig ist die Forderung des Bürgermeisters, die Unterschriftenlisten bei ihm persönlich abzugeben. Begründet wurde das so: „Nicht nur er wolle wissen, wer das Begehren unterschreibt, auch die Ratsmitglieder hätten ein Recht darauf.“ Warum tut er das in einer Ratssitzung öffentlich kund und teilt potentiellen Unterschreibern mit, dass er die Unterschriftenlisten einsehen wird? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt... Und aus Datenschutzperspektive fragwürdig ist das auch, denn um am Ende festzustellen, dass genügend gültige Unterschriften zusammengekommen sind, genügt es, dass ein Verwaltungsmitarbeiter anhand des Melderegisters die Gültigkeit des Bürgerbegehrens feststellt und dann in einer Vorlage für die VA- bzw. Ratssitzung schriftlich festhält, wie viele gültige Unterschriften gesammelt wurden. Nach unserer Beobachtung ein weitverbreitetes Vorgehen. Warum sollten die Unterschriftenlisten auch unter den Ratsmitgliedern kursieren? Das NKomVG benennt übrigens nur „die Kommune“ als die Stelle, bei der ein Bürgerbegehren einzureichen sei. Man könnte die Unterschriftenlisten also auch beim Pförtner im Rathaus abgeben.

Bilanz Bürgerbegehren und Bürgerentscheid im Landkreis Stade

Im Landkreis Stade gab es seit Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden im Jahr 1996 übrigens sieben Anläufe dazu (Balje und Wischhafen noch nicht mitgezählt). Dreimal kam es zum Bürgerentscheid, jeweils ein Bürgerbegehren wurde vom Rat übernommen, nicht eingereicht, für unzulässig erklärt bzw. versandete. Den einzigen im Sinne des Bürgerbegehrens erfolgreichen Bürgerentscheid gab es 1998 in Buxtehude, als es gegen den Neubau eines Rathauses ging. Die beiden anderen Begehren scheiterten, eines erhielt keine Mehrheit (Hollern-Twielenfleth, 2006, für die Gründung der Einheitsgemeinde Lühe), im anderen Fall wurde das 25-Prozent-Zustimmungsquorum verfehlt (Nottensdorf, 2005, für Modernisierung des Dorfgemeinschaftshauses). Der letzte Anlauf für ein Bürgerbegehren im Landkreis Stade datiert aus dem Jahr 2013. Damals wollte eine Bürgerinitiative die Hochwasserschutzpläne der Stadt Buxtehude verhindern. Das Bürgerbegehren scheiterte nach 3600 eingereichten Unterschriften daran, dass der Stadtrat Fakten schaffte, die das Bürgerbegehren hinfällig werden ließ.

Gebietsreform: Bürgerinnen und Bürger wollen mitreden

Bürgerbegehren zum Thema Gebietsreformen gab es in Niedersachsen bereits 16mal. Dort konnten sich die Bürgerinitiativen nur zweimal durchsetzen, als der Rat die eigenen Pläne aufgrund der Bürgerbegehren fallen ließ. Neun Bürgerbegehren wurden für unzulässig erklärt, bei vier Bürgerentscheiden gab es Mehrheiten für die Fusionspläne, einmal scheiterte ein Bürgerentscheid am Zustimmungsquorum (es gab eine Mehrheit gegen die Fusion, diese entsprach aber nicht 25 Prozent der Stimmberechtigten). Den letzten Fall gab es 2014 in Süstedt im Landkreis Diepholz, wo sich am Ende 59 Prozent für die Fusion aussprachen. Spektakulärer waren aber sicher die drei Bürgerbegehren in Göttingen, Northeim und Osterode, die sich 2012 gegen die Fusion zu einem südniedersächsischen Großkreis engagierten. Die Bürgerbegehren konnten sich im formellen Verfahren nicht durchsetzen: Northeim und Göttingen waren unzulässig, im Landkreis Osterode scheitere das Begehren am Zustimmungsquorum (s.o.) Mittlerweile ist der Landkreis Northeim aus dieser Fusion ausgestiegen.

Fusionsbemühungen häufen sich in Niedersachsen seit 2008, weil das Land teilweise finanzielle Anreize für fusionswillige Kommunen anbot.

Mitmachen? Mitmachen!

Wir kämpfen für ein Demokratie-Update mit direkter Demokratie, regelmäßiger Bürger-Beteiligung, der Transparenz staatlichen Handelns und einem bürgerfreundlichen Wahlrecht. Auch in Bremen und Niedersachsen.

Wir freuen uns auf Ihren Support!